Glauben Sie noch an die Liebe
Party hätten ansprechen können.
Wortgewandt war ich!
Aber?
Zurückhaltend. Ich bin nicht derjenige, der glaubt, er sei der Mittelpunkt der Welt, und wohin er kommt, hätten alle auf ihn gewartet, im Gegenteil!
Aber, Herr Friedman, mit Verlaub, Sie wirken nun nicht gerade zerfressen von Selbstzweifeln.
Sie verwechseln da gerade zwei Dinge. Ich bin nicht schüchtern, was mein Denken und meine Sprache angeht. Daran arbeite ich seit meinem sechsten Lebensjahr. Aber ich bin emotional schüchtern.
Gilt das auch für Ihre Liebe zu Frauen, zu Freunden, zu Ihrer Familie?
Das gilt für alle Menschen. Bevor ich mich einem Menschen nähere, ist da immer ein sehr großer, respektvoller Abstand. Du weißt nicht, wie der andere gerade drauf ist, dem du begegnest. Gehe nicht hoppladihopp vor. Die anderen wissen auch nicht, was mit dir ist. Das ist etwas, das ich selbst in langjährigen Beziehungen noch lebe.
Was ist das Gegenteil von hoppladihopp?
Das ist ganz einfach. Wenn ich meine guten Freunde nächste Woche treffe, nehme ich nicht an, dass alles so sein wird wie in der Woche zuvor, als wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ich bin immer noch zurückhaltend und neugierig, und ich respektiere Menschen außerordentlich. Und das führt, wenn Sie so wollen, zu einer gewissen Zurückhaltung.
Würden Sie sich von Ihren Mitmenschen diese Zurückhaltung auch einmal wünschen? Es gibt ja bisweilen durchaus kritische Worte über Sie.
Gerade weil ich in meinem Leben erlebt habe, dass alle mich bewerten, ist mir bewusst, wie viel Schüchternheit und Zurückhaltung notwendig ist, um die anderen nicht genauso zu bewerten. Die Menschen projizieren die verschiedensten Dinge auf mich. Wenn Sie alles über mich lesen, was so geschrieben wird, dann bin ich ein Klo, das die Wissenschaft nie herstellen könnte.
Ihre Sendung »Vorsicht Friedman!« lebte doch gerade von Ihrer meisterhaften Art, Menschen ins Gebet zu nehmen – wenn man so will, sie journalistisch zu verhören.
Nein. Mir wurde immer unterstellt, ich sei Moralist, doch das bin ich nie gewesen. Ich habe in meinen Sendungen und Artikeln nie moralisierende Bemerkungen über Menschen gemacht.
Aber Sie haben politische Bemerkungen gemacht, die moralisch interpretierbar sind.
Das ist ja auch erlaubt.
Ist diese Liebe zur Zurückhaltung bei Ihnen eigentlich eine neue Entwicklung?
Nein, ich war immer schüchtern. Das habe ich doch gerade gesagt.
Schon einmal hatten wir Michel Friedman nach seinem Rücktritt getroffen, im Jahr 2006. Er saß im Polohemd an einem Konferenztisch in seiner Frankfurter Anwaltskanzlei und rauchte mit müden Augen eine Zigarre. Anlass für das Gespräch war, dass Friedman, der nach dem Verlust seiner Aufgaben viel Freizeit hatte, an einer philosophischen Doktorarbeit über den Schuldbegriff arbeitete. Wieder konnte man sagen: Ausgerechnet Friedman, der nun Schuldbehaftete, philosophierte über den Schuldbegriff – und relativierte ihn sogar.
Seine Arbeit handelte von der Frage, ob die Behauptung von Hirnforschern, der menschliche Wille sei nicht frei, unseren Begriff von Verantwortung und Schuld aufhebe. »Wir müssen den Schuldparagrafen des Strafrechts überdenken«, sagte er damals. »Laut der Neurobiologie ist der freie Wille eine Illusion. Mir stellt sich deshalb die Frage: Welche Konsequenzen hat das für Schuld und Moral? Sind moralische Kategorien dann noch verbindlich?«
Damals war das abstrakte Gespräch über den Schuldbegriff der Philosophie ein Weg gewesen, mehr über den Menschen Michel Friedman zu erfahren. Ebenso viele Parallelen zu seinem Privatleben enthält das abstrakte Gespräch über den Liebesbegriff mit Friedman heute.
Herr Friedman, wenn wir Sie als Philosophen fragen – was ist dann Ihre wichtigste Erkenntnis über die Liebe?
Dass es keine gibt.
Was macht die Liebe denn so schwer zu durchdringen?
Dass der Mensch nicht in der Lage scheint, die verschiedenen Aspekte der Liebe auseinanderzuhalten. Es gibt einen kulturellen Aspekt, einen sexuellen, einen neurobiologischen.
Was ist das Schwierige an diesen verschiedenen Aspekten?
Dass sie sich widersprechen. Einerseits brauchen wir eine romantisierte Metaebene in der Liebe, um uns als Menschen über die anderen Säugetiere zu erheben. Andererseits ist die Liebe für Hirnforscher nur ein Stoffwechselprozess, bei dem Hormone wie Serotonin und Dopamin ausgeschüttet werden, die uns für eine gewisse Zeit in einen Rauschzustand versetzen und, wie bei allen Rauschzuständen,
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