Gleich bist du tot
Waden sehen ließ, erschien auf der Schwelle. DC Williams zeigte ihm seinen Ausweis, sagte, sie müssten mit den Nachbarn von Nummer vierunddreißig sprechen, und fragte, wann er sie zuletzt gesehen habe.
»Soweit ich weiß, ist da schon seit August niemand mehr. Der Mann war alleinstehend, Architekt. Er ist ins Ausland gegangen, arbeitet in Australien. Nicht schlecht, wenn Sie mich fragen. Ich glaube, er ist mit einem Büro in Sydney verbandelt.«
Williams wechselte einen Blick mit Emma Smith. Es war fast schon Oktober.
»Sind Sie da sicher? Mr . . . äh . . .«
Der Nachbar gab ihnen bereitwillig seine Personalien und wiederholte, dass die Wohnung seit fünf, sechs Wochen unbewohnt war. Der Mann, der nach Australien gegangen war, habe Marshall geheißen, denke er. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall habe der Name mit einem »M« angefangen.
»Und Sie haben während der ganzen Zeit nie jemanden kommen oder gehen gehört?«
Nein, das hatte der Nachbar nicht. Wobei er selbst nicht immer da gewesen war, und das Haus war besonders gut lärmgedämmt, was bei den Preisen zu erwarten sein sollte. Es sei auch durchaus möglich, nehme er an, dass jemand Neues eingezogen sei. In dem Fall habe er ihn oder sie einfach noch nicht gesehen.
Während er noch sprach, öffnete sich die Tür von Nummer dreiunddreißig. Noch ein anspruchsvoller Stadtbewohner in seinen Dreißigern, respektive ihren Dreißigern: Es handelte sich um eine Frau, die offenbar gerade auf dem Sprung irgendwohin war, an einen netten Ort, wo man es normalerweise nicht mit Verbrechern oder der Kripo zu tun bekam. Die Frau war sicher, was den Namen betraf, Ben Marshall, und ebenso sicher in Bezug auf die Australien-Theorie. Ihr Nachbar hatte ihr seine Pflanzen hinterlassen, und sie war nicht gerade gut darin, sie am Leben zu erhalten. Ja, sie standen in E-Mail-Kontakt, was das Gießen betraf. Sie holte sogar eine Ansichtskarte vom Opernhaus Sydney aus der Wohnung, die er ihr geschickt hatte, mit Datum vom 31. August.
»Natürlich könnte seitdem jemand eingezogen sein, aber mir ist niemand aufgefallen.«
»Die Wohnung steht also zum Verkauf?«, fragte Williams.
»Das glaube ich nicht. Sie gehört einem Rentnerehepaar, das meines Wissen in Spanien lebt.«
»In Malaga«, stimmte ihr der Nachbar zu. »Als ich hier einzog, waren sie noch da, haben die Wohnung dann aber während der letzten Jahre vermietet.«
Schön für sie, dachte Williams. Aber wisse er auch, welche Agentur sie mit der Vermietung beauftragt hätten? Nein, das wisse er nicht, sagte der Nachbar, aber die Verwaltungsgesellschaft, die das Haus instand halte, wahrscheinlich schon.
Williams fragte, ob es in der letzten Nacht irgendwelche Störungen gegeben habe, irgendwelchen ungewöhnlichen Lärm. Der Nachbar im schreiend bunten Bademantel schüttelte den Kopf, nein, nicht, dass er was gehört hätte. In diesem Augenblick erschien eine verschlafen wirkende Frau in der Tür hinter ihm. Sie trug einen Seidenkimono, elegant, in gedeckten Farben, und hielt statt der Tasse Kaffee ein Glas Orangensaft in der Hand. Sie hatte ebenfalls nichts gehört und glaubte auch nicht, dass da im Moment jemand wohne. Die Frau aus Nummer dreiunddreißig sagte, sie sei auf einer Party gewesen, in Wynarth: »Ziemlich langweilig, mit Arbeitskollegen, verstehen Sie?«
Sie habe sich nach Mitternacht verabschiedet und sei wohl so gegen eins zurückgekommen. Totenstill sei es hier gewesen. Der knallbunte Bademantel hob noch einmal die exzellente Lärmdämmung hervor. Das war offenbar tatsächlich ein Verkaufsargument gewesen.
DC Williams legte die Stirn in Falten. Es gab bisher weder Haftbefehle noch einen Durchsuchungsbefehl. Tracey Healds vier Vornamen hatten sie in der Richtung nicht viel weitergebracht. Aber der mutmaßliche Vorfall ließ sich fraglos als ernst einstufen: Ihre normalen Ermittlungsbefugnisse würden wahrscheinlich ausreichen, um zu rechtfertigen, was sie jetzt tun sollten. Mehr oder minder zumindest.
»Treten Sie bitte ein Stück zurück«, sagte Emma Smith zu den Nachbarn und war eine Sekunde vor Williams zu einer Entscheidung gekommen.
Der große Uniformierte trat vor. Das Türeneintreten war für die Kollegen eine Art Berufssport. Schon der erste Tritt bewies allerdings, dass die Türen der Hutfabrik qualitativ zur Oberklasse gehörten. Massiv, dick, widerstandsfähig. Aber doch zivil und eher für gesetzestreue Bürger ausgelegt als für Crackdealer. Der zweite und dritte Tritt lockerten die
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