Gleich bist du tot
teuer essen gegangen. Warum auch nicht? Gestern, am Samstag, hatten sie ein indisches Restaurant in der Nähe des Panthéons ausprobiert, das unter Pariser Feinschmeckern gerade als angesagt galt. Wie die indische Küche im Augenblick überhaupt, sagte Alison. Die Franzosen sind nun mal immer die Ersten, hatte Jacobson daraufhin sarkastisch bemerkt. Er musste allerdings zugeben, dass das Essen ausgezeichnet war, wenn es auch nicht ganz an das von Mr Behar in Crowby herankam. Auf dem Weg zu Alisons Wohnung am Riverside Crescent kamen sie an ihrem Arbeitsplatz vorbei, dem »Riverside Hotel«. Sie war die Managerin dort, und ihm wie gewöhnlich ein gutes Beispiel gebend, sah sie das beeindruckende Gebäude kaum an, als sie die Memorial Bridge Richtung Riverside Walk überquerten. In der Wohnung angekommen, schenkte sie sich und Jacobson noch einen Schlummertrunk ein. Zwei Glenmorangie. Jacobsons Glas war ungleich voller als ihres, was allerdings nicht nur am Whisky lag, sondern auch am Eis, von dem er immer reichlich nahm.
Jacobson schlief wie ein Baby und erinnerte sich beim Aufwachen an den Blick vom Tour Montparnasse. Arm in Arm waren sie am Sonntagnachmittag dort hinspaziert. Jacobson hatte gedacht, sie müssten sich an die Liftschlange für die Aussichtsplattform im sechsundfünfzigsten Stock anstellen, aber Alison hatte eine bessere Idee: Sie nahmen den ruhigeren, sofort verfügbaren Aufzug zur Pianobar im gleichen Stock, hatten den gleichen Blick, bekamen dazu aber noch ein paar Cocktails. Andere Leute erlaubten sich regelmäßig solche harmlosen Extravaganzen, manche sogar täglich, aber bis er Alison kennengelernt hatte, im April letzten Jahres, war Jacobson in dem Irrglauben gewesen, dass so etwas für ihn nicht mehr in Frage käme.
Er hatte vorgehabt, sich aus der Wohnung zu schleichen und sie schlafen zu lassen. Beide mussten um neun in der Arbeit sein, und Jacobson wollte vorher noch nach Hause zum Wellington Drive, um sich ein paar saubere Sachen anzuziehen und die Post durchzusehen. Wobei es ihm nicht zuletzt auch darum ging, sich davon zu überzeugen, dass er noch allein lebte und Alison, egal, wie gern er sie mochte, kein ernster Fall war und sie nicht darauf zusteuerte, auch nur entfernt so etwas wie eine Ehefrau zu werden. Die Ehe war eine Schlangengrube, in die sich Jacobson nie wieder begeben wollte. Das hatte er absolut nicht vor. Aber als er sich auf der Suche nach seinen Socken durchs Schlafzimmer tastete, wachte sie auf und meinte, dass es erst halb acht, draußen unangenehm kalt und der Verkehr ein einziges Desaster sei.
Eine Stunde und zwanzig Minuten später eilte Jacobson vom Polizeiparkplatz in den Hintereingang des Präsidiums und rückte sich noch einmal die grell hellrosafarbene Krawatte zurecht, die Alison ihm aus einem der hinteren Winkel ihres Schranks hervorgekramt hatte. Die habe ihrem Ex-Gatten gehört, hatte sie ihm erklärt, eine andere gebe es in der Wohnung nicht, also die oder keine. Widerstrebend hatte er sie sich umgebunden. Er beschloss, die hintere Treppe hinauf in den fünften Stock zu seinem Büro zu nehmen. Stock um Stock, wobei es ihm einerseits um seinen Entschluss ging, sich etwas mehr Bewegung zu verschaffen, und er andererseits die Krawatte nicht zu sehr zur Schau stellen wollte. Zwar war er, was die Bekleidungsstandards des CID betraf, mit seiner schicken Lederjacke, seiner ordentlichen Baumwollhose und dem anständigen Paar Budapester absolut nicht schlecht gekleidet, aber die Tatsache, dass er nicht wie gewohnt in seinem nüchternen Anzug kam, würde neues Wasser auf die Mühlen derer gießen, die behaupteten, er sei auf dem besten Weg, sein altes, trostloses Ich hinter sich zu lassen, seit sich sein Privatleben unerwartet zum Besseren gewendet hatte.
Er keuchte die letzten Stufen hinauf und war froh, es ungesehen bis hier oben geschafft zu haben. Es bestand durchaus die Möglichkeit, mehr noch, es war sogar wahrscheinlich, dass übers Wochenende nichts Größeres vorgefallen war. Und das von Detective Chief Superintendent Greg Salter regelmäßig einberufene Treffen der leitenden Beamten des CID fand erst um zehn statt. Bis dahin wollte Jacobson seine E-Mails durchsehen, den Anrufbeantworter abhören und die aktuellen Berichte studieren. Dann war ein schneller Abstecher hinüber ins Einkaufszentrum geplant, um eine andere Krawatte zu erstehen, die sich weniger fremd um seinen Hals anfühlte. Aber als er den vorderen Flur erreichte, an dem sein Büro lag,
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