Gleich bist du tot
schufteten und wühlten und doch aus der täglichen Tretmühle nicht herauskamen. Nicht so leben zu müssen für die nächsten zwanzig, dreißig, ja vierzig Jahre, das war das Ziel ihres Projekts, schärfte er sich ein. Jedenfalls für ihn. Und selbst jetzt, nachdem er sich (nach ihren Maßstäben) auf dem Golfplatz von Edgbaston bewiesen hatte, selbst jetzt noch, das wusste Adrian, war er dabei der Außenseiter, der Techniker, der angeheuert worden war, weil man jemanden für den Job brauchte. Für die anderen war das Projekt, oder genauer gesagt: dessen Durchführung schon ein Ziel an sich, ganz abgesehen vom letztlichen, langfristigen Ergebnis. Alle drei, sogar Maria, liebten es, den Mädchen wehzutun. Sie liebten es wirklich, sie in Todesangst zu versetzen. Adrian waren derlei Gefühle nicht völlig unbekannt, das konnte er nach Edgbaston nicht abstreiten, aber für ihn war es etwas, das er in einer Ecke seines Bewusstseins begrub und vergaß, sobald es vorbei war. Jetzt sag mir bloß nicht, dass es dir nicht gefallen hat, Ad, hatte Brady zu ihm gesagt, als sie mit dem Mädchen auf dem Golfplatz fertig gewesen waren. Sag mir bloß nicht, dass es dir keinen verdammten Kick gegeben hat. Adrian hatte ihm nicht geantwortet, er hatte vor allem da wegkommen wollen, aber er wusste, was seine ehrliche Antwort gewesen wäre: Okay, ja, ich geb’s zu, es hat mir gefallen. Aber im Gegensatz zu dir könnte ich auch ohne.
Er nippte an seinem Kaffee und sah zu, wie von Osten her Wolken über die Stadt zogen, die Regen mit sich bringen mochten. Auch sie selbst waren »Büro-Drohnen« gewesen, als sie sich kennengelernt hatten. Er, Brady und Annabel auf jeden Fall. Es war Zufall gewesen, wenigstens wollte Adrian das glauben, eine zufällige Folge davon, dass sie alle in derselben Scheißfirma gearbeitet hatten, sogar in derselben Scheißabteilung. Aber im Grunde wusste er, dass es mehr gewesen war. Irgendetwas an ihm hatte ihnen signalisiert, dass er ein Geistesverwandter war, jemand, mit dem sie ihr ungewöhnliches Vorhaben durchziehen konnten.
Adrian hatte im zwölften Stock des Callcenters gearbeitet. Wenn man dort aus dem Fenster sah, konnte man die endlose Abfolge von Zügen beobachten, die in den Bahnhof Watford Junction hinein- und später wieder herausfuhren. Nicht, dass einem die Arbeit im Callcenter viel Gelegenheit gelassen hätte, aus dem Fenster zu sehen. Adrian hatte in der Neukundenbetreuung gearbeitet und die Zeitverschwender von den ernsthaften Anrufern geschieden, hatte freundlichen Unsinn in sein Headset gequatscht und gleichzeitig alle verfügbaren Informationen über den potenziellen Kunden aus dem Computer gekitzelt: Adresse, Kreditwürdigkeit, Säumigkeiten, eventuelle Mahnverfahren, um so die Spreu vom Weizen zu trennen und die zu finden, bei denen es noch was zu holen gab. Hauptsächlich ging es um Schuldenkonsolidierung, indem Kreditkartenschulden, Überziehungskredite und so weiter in einen gemeinsamen Korb mit variablem Zins umgebettet wurden. Wenn eben möglich, sollte ein Kreditangebot gemacht werden, selbst wenn völlig klar war, dass der Dummbeutel am anderen Ende innerhalb von Monaten oder Wochen kollabieren würde. Aber solange sie ein Haus oder etwas anderes hatten, das man ihnen später abnehmen konnte, war das scheißegal und störte niemanden. Die Firma ganz sicher nicht. Seine Zeit im Callcenter verfolgte Adrian immer noch in nächtlichen Albträumen. In Schweiß gebadet wachte er dann auf und dachte, dass er immer noch dort arbeitete, dass er unbedingt aufstehen und losrennen müsste, wenn er nicht zu spät zur nächsten Schicht kommen wollte.
Er war sich nicht sicher, ob ihm Brady und Annabel aufgefallen waren, bevor sie ihn bemerkt hatten, oder umgekehrt. Und er konnte auch nicht sagen, ob das von Bedeutung war. Ob es zum Beispiel irgendetwas an der relativen Größe von Schuld und Strafbarkeit änderte. Alle im zwölften Stock besaßen ihre eigene Arbeitsnische mit Schreibtisch, Stuhl, Telefon und Computerterminal. Aus Sicherheitsgründen hatten die Tische keine Schubladen, und jede persönliche Veränderung des Arbeitsplatzes musste vom Management bewilligt werden. Viele Frauen brachten Stofftiere mit oder Fotos von ihren Kindern, wenn sie denn welche hatten. Die Typen bevorzugten Fußballkalender oder rissen Fotos aus Zeitschriften aus, zum Beispiel von einem Porsche. Pin-ups gingen natürlich nicht, da sie offiziell als sexistisch galten, Frauen abwerteten und somit am
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