Gleich bist du tot
lebten A und B nicht wieder zu Hause, dachte Adrian neidisch, als er sie etwas näher kennenlernte. Wenn ihre »Wohnung« auch lächerlich überteuert und schludrig von der obersten Etage eines vollgestopften, muffigen Reihenhauses abgezwackt war. Sie waren aus Südwestengland hergezogen, um so nahe wie möglich an London zu sein, wo die wichtigen Medienfirmen saßen und Brady seine große Zukunft sah. Er wusste, er hatte es in sich, er wusste es. Das sagte er wieder und wieder. Worin allerdings dieses »es« bestehen sollte, das war nicht leicht auszumachen. Irgendwann einmal sagte er, seine Familie stamme aus Guildford, aber soweit Adrian wusste, fuhr er niemals hin und schien nichts mehr mit ihr zu tun zu haben.
Adrian langweilte sich im Haus seiner Eltern zu Tode und verbrachte mehr und mehr freie Zeit mit A und B. Die beiden hatten immer etwas Entspannendes zum Einwerfen da, es gab immer die eine oder andere DVD, die sich anzusehen lohnte, gute Musik und Gespräche, die nicht völlig konventionell waren, geisttötend und düster. Und dann war da der Sex. Perverser, spleeniger Fetischsex, und zwar jede Menge. Adrian kannte das alles aus dem Internet, aber A und B – und natürlich Maria – praktizierten ihn. Eine der vielen Ironien in Annabels und Bradys häuslicher Ordnung war, dass Maria, die mehr verdiente als die beiden zusammen, für ihre »Besitzer« den Löwenanteil von Miete und Rechnungen bezahlte. Offenbar hatte Brady ursprünglich sogar gewollt, dass sie ihm ihr gesamtes Einkommen übergab, damit er es für sie verwaltete, aber diese eine Sache verweigerte sie ihm, als wäre das ein Schritt zu viel über die Grenze einer irgendwie noch normalen Existenz. Adrian konnte das alles nicht so ernst nehmen, wie es Bradys Ménage à trois offensichtlich tat, dennoch schloss er sich ihnen nur zu gerne an, wenn sie zu einer ihrer zahlreichen Fetischnächte gingen, besonders da Annabel oder Brady stets jemanden zu finden schienen, gewöhnlich weiblichen Geschlechts und gut aussehend, der – oder besser: die – nur zu erfreut war, ihrem Gast den Abend über zu »dienen«. Auf diesem Weg lernte er eine verheiratete Frau aus Enfield kennen, für die er am Ende mehr oder minder echte, aufrichtige Gefühle entwickelte. Aber dann wechselte ihr Mann den Job oder wurde befördert, auf jeden Fall verkauften sie ihr Haus und zogen aus der Gegend fort. Bei ihrem letzten Treffen hatte er sie sogar gebeten, nicht mit wegzuziehen (in dem nichtssagenden Travellodge-Zimmer oben bei Teddington an der M1, wohin sie immer mit ihm fuhr). Es war fast schon ein Betteln gewesen: Geh nicht, erzähl ihm von uns, bleib bei mir. Er hatte sie ans Bett gefesselt, nackt, verletzlich. Dennoch hatte sie ihn mit ihren völlig normalen, erwachsenen, haselbraunen Augen angesehen. Augen, in denen vielleicht sogar Mitleid lag. Sei kein Dummkopf, Schatz. Das ist alles nur Fantasie, Spaß, lebe um Himmels willen nicht dein Leben danach.
Wenn er es recht bedachte, war das Ganze eine Art Idyll gewesen. Wie im Schlaf hatte er seine Schichten im Callcenter abgeleistet, abends bei A und B die eine oder andere Pille geschluckt, vielleicht was geraucht und ein bisschen Tarantino oder Almodóvar geguckt, und am Wochenende ging es in die Fetischszene. Der einzige Stimmungsdrücker dabei war Bradys nicht enden wollendes Gesülze, was seine irren Pläne für eine tolle, leuchtende Zukunft anging.
Adrian stellte die Kaffeekanne zurück auf die Warmhalteplatte. Er musste sich ernsthaft wieder an die Arbeit machen, wenn er mit dem Film fertig sein wollte, bevor die anderen wieder eintrudelten. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann Brady zum ersten Mal von Identitätsdiebstahl als einer realistischen, vorstellbaren Option gesprochen hatte.
Die Arbeit im Callcenter bedeutete, dass Adrian, Brady und Annabel ständig mit der Möglichkeit von Identitätsdiebstahl konfrontiert waren. Alle Angestellten hatten, im Jargon des Managements, »ID-bewusst« zu sein und mussten regelmäßig an Mitarbeitertreffen teilnehmen, die die Sensibilität des Einzelnen für die Problematik schärfen und die Firma davor bewahren sollten, auch nur in die Nähe des Verdachts von ID-Betrug zu kommen. Zudem wurde regelmäßig irgendein unbeholfener Trottel hinausgeworfen, weil er Daten nach außen weitergegeben hatte. Und obwohl die Firma unangekündigt Kontrollen am Hauptausgang durchführte und ständig einzelne Arbeitsplätze inspizierte, standen die Chancen für einen geschickt
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