Gleich bist du tot
sein müssen, wo sie nicht mit dem widerwärtigen Pöbel zu tun hatten.
Die junge Frau wurde jetzt ernsthaft wütend und warf ihrem Freund, oder wer immer der Kerl war, gleich eine ganze Liste von Dingen vor. Hauptsächlich schien es darum zu gehen, dass sie zusammenziehen wollten und nach einer geeigneten Wohnung Ausschau hielten. Aber fast immer, wenn sie einen Besichtigungstermin vereinbart hatte, rief er mit irgendeiner erbärmlichen Entschuldigung an, dass er nicht mitkommen könne, und gestern war er ganz offenbar ohne Entschuldigung weggeblieben. Der Kerl wurde immer verlegener und setzte ein dümmliches Grinsen auf. Wie alt mochte er sein? Zweiundzwanzig, vielleicht dreiundzwanzig. Er war immer noch in einem Alter, da ihm das Leben nichts Interessantes, eigentlich gar nichts ins Gesicht geschrieben hatte. Gut angezogen war er allerdings schon. Das sah auch Brady. Der Anzug war nicht einfach irgendwo von der Stange gefallen. Brady tippte auf Autoverkäufer, und wenn nicht das, dann doch irgendwas mit Verkaufen, da war er ziemlich sicher. Die Kleine war eher ein Grenzfall, was ihr Aussehen anging. Sie spielte nicht in der gleichen Liga wie Tracey Heald oder das süße Studentenkind, das ihm Adrian in Birmingham ausgesucht hatte. Übel sah sie allerdings auch nicht aus. Was Brady gut an ihr gefiel, war ihr Temperament, die Wut in ihren Augen und ihrem Gesicht. Das Blitzen, die Röte. Das gab für ihn den Ausschlag. Die Vorstellung, diesen ganzen Trotz, dieses natürliche Selbstvertrauen höchstpersönlich zu zerstören, in den Dreck zu treten, bis nichts mehr davon übrig blieb, nur noch Leere und bröckelnder Staub.
Zehn Minuten später gab ihr Freund auf.
»Das reicht, ich habe genug«, sagte er fast höflich, trank sein Bier aus und ließ sie mit einem Schulterzucken stehen. Die Kleine starrte stur geradeaus und schenkte seinem Abgang keinen Blick, so als hätte er nichts mehr mit ihr zu tun. Als er gegangen war, holte sie ihr Handy heraus und machte sich daran, jemandem zu simsen. Vielleicht einer Freundin, um ihrem Männerfrust Luft zu machen. Annabel hatte ihren doppelten Happy-Hour-Gin-Tonic ausgetrunken und ging an die Theke, um sich noch einen und ein großes Glas Chardonnay zu bestellen. Sie hatte gesehen, dass die Frau Weißwein trank, und traf die Feld-, Wald- und Wiesenwahl, mit der sie sicher nicht ganz falschliegen würde. Mit einem leicht verzagten Lächeln auf den Lippen näherte sie sich dem Tisch der jungen Frau und hoffte, freundlich und nicht aufdringlich zu wirken. Sie stellte das volle Glas Wein neben das leere und hob den G&T, den sie in der anderen Hand hielt.
»Entschuldige«, sagte sie und lächelte immer noch, »aber ich hatte den Eindruck, du könntest noch ein Glas vertragen.«
Die Frau sah Annabel an, das Glas Wein, um das sie nicht gebeten hatte, und dann wieder Annabel.
»Kenne ich dich? Haben wir uns schon mal gesehen?«
Annabel bemühte sich, ihr Lächeln beizubehalten.
»Nein, nein. Es war nur, ich dachte . . .«
»Was hast du gedacht? Ich habe gesehen, wie du und dein Freund heimlich zu uns rübergegafft und lange Ohren gemacht habt. Wie wär’s, wenn ihr euch um eure eigene Scheiße kümmert?«
Sie stand jetzt und steckte das Handy in die Tasche. Annabel starrte sie an und wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Frau nahm einen schnellen Schluck von dem Wein, den Annabel ihr gebracht hatte, und verzog das Gesicht zu einer übertriebenen Grimasse.
»Der Hauswein. Hätte ich mir denken können. Du glaubst wohl, mich billig kriegen zu können, für was auch immer. Was willst du? Bist du ’ne Lesbe, oder was?«
Annabel hätte ihr am liebsten eine reingehauen, hätte diesem Dreckstück so gerne ihren G&T ins Gesicht geschüttet und ihr das Glas gleich hinterher in die spöttische Fresse gedrückt.
»Hör zu, tut mir leid, vergiss es«, schaffte sie gerade noch zu sagen. Von ihrem Lächeln war nichts geblieben.
»Du bist bereits vergessen, komische Schnepfe«, sagte die junge Frau und schoss an ihr vorbei, wobei sie ihr beinahe das Glas aus der Hand gestoßen hätte. Annabel stand wie angenagelt da. Ihr war bewusst, dass die Leute an den Tischen ringsum zu ihr herüberstarrten. Sie sah das Mädchen zwischen den Leuten verschwinden, dann ganz vorne am Eingang wiederauftauchen und das Lokal verlassen.
Plötzlich stand Brady neben ihr.
»Komm schon, Schatz«, sagte er mit lauter, viel zu aufgeräumter Stimme, die für das Publikum ringsum gedacht war. »Ich glaube,
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