Gleichbleibend Schoen
ihr erzählt?«
Ich konnte es ihm nicht sagen. Weder, worüber wir geredet hatten, noch, ob ihr Verhalten überhaupt mit mir zu tun hatte. Also sagte ich gar nichts. Er bog mir brutal den kleinen Finger nach hinten, aber mir fiel nichts ein. Und damit hatte es sich.
*
Dies war kein typischer Donnerstagabend. Der übliche Ablauf war verdorben, es war das erste Signal, dass die Donnerstagabende zu Ende gingen. Später stellte sich heraus, dass es der vorletzte Donnerstag gewesen war. Die Schuld gebe ich mir.
Normalerweise waren die Donnerstagabende netter: gutes Essen, viel zu trinken und die leise Überraschung, dass Alkohol genauso gut funktionierte wie alles andere und man dabei noch reden konnte.
» Wörter machen mich nicht an«, sagte Ben immer. » Bilder sind mehr mein Ding.«
Und immer kam draußen in der Dunkelheit der Bus näher. Meistens torkelte ich zum Hoftor und stand schwankend da, bis er vor mir anhielt. Ich schaffte es gerade noch die Stufen hoch und bis zum vordersten Sitz.
Falls ich noch nicht wie eine Motte im Scheinwerferlicht flatterte, drückte der Fahrer auf die Hupe und wartete, bis ich auftauchte. Das war nett von ihm. Vielleicht war er einsam. Auf der Donnerstagabendfahrt zurück in die Stadt war der Bus immer menschenleer, er hatte nur jede Menge Fracht geladen: Kartoffel- und Kürbissäcke, Eierschachteln, vergessene Zeitungen, Postsäcke und Ähnliches mehr. Ich fragte mich, ob der Fahrer auch an den übrigen Abenden allein war oder ob er jeden Abend einen anderen einsamen Passagier beförderte.
Ich nutzte die Rückfahrt, um nüchtern zu werden. Er nutzte sie, um sich zu unterhalten. Einmal erzählte er mir, dass er als Jugendlicher ein großer Eddie-Cochran-Fan gewesen sei. » Kennste Eddie Cochran?«
» Ich habe von ihm gehört«, sagte ich und summte ihm zuliebe ein paar Takte von Summertime Blues.
» Yeah. Na ja, vielleicht biste noch zu jung«, meinte er wohlwollend. » Er ist umgekommen. War ’n Biker. Das sind die Besten. Immer auf der Straße. Und da ist er auch gestorben. Eddie war der Größte, so viel ist klar.«
» Wie James Dean.« Ich wollte es ihm unbedingt recht machen.
» Nein, der war Filmstar. Das ist nicht dasselbe. Ein amerikanischer Filmstar, Herrgott noch mal.«
Eine Zeit lang fuhr er in erbostem Schweigen weiter. Um mir eine Lektion zu erteilen, sorgte er dafür, dass der Bus alle Löcher und Spurrillen in der Straße mitnahm. Etwas Dunkles, Pelziges huschte im Schatten der Sitzreihen durch den Bus.
Dann redete er wieder mit mir.
» Nach Eddies Abgang haben ich und die anderen echten Fans fünf Jahre lang an seinem Todestag ’nen Wagen gemietet. Wir sind zu der Stelle gefahren, wo er gestorben ist, und haben Blumen auf die Straße gelegt. Vor uns eine Motorradeskorte. In schwarzen Lederklamotten, so wie Eddie sie immer getragen hat. Das waren noch Zeiten, sage ich dir. Die gute alte Zeit, wie es immer heißt. Seither ist das Land ganz schön runtergekommen. Keiner weiß mehr, wo’s langgeht. Wenn man bedenkt, dass wir mal die Welt beherrscht haben.« Er seufzte traurig und zerquetschte einen vom Scheinwerferlicht verwirrten Kusu unterm Vorderrad der Beifahrerseite. » Darum bin ich hergekommen. Das hier ist das Land der Zukunft, so viel ist klar.«
» Klar.«
*
Am Abend des Familiendramas brachte er den Bus völlig unerwartet zum Stehen. Die Gangschaltung krachte. Aus dem Radio kam ein statisches Kreischen. Er schaltete es aus. Sofort hörte man unheimliche Geräusche aus dem Busch.
» Also, wie wär’s?«
» Was?«
» Wie wär’s?«
» Wir wär’s womit?«
» Wie wär’s? Na, du weißt schon.« Er deutete mit seinem fettigen Kopf auf die lange Rückbank. Ein aufreizend anzüglicher Blick. » So spät abends kommt hier keiner mehr vorbei. Ich kann aber auch von der Straße abfahren, hinter die Bäume da drüben, wenn dir das lieber ist.«
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Auf jeden Fall haben es viele Eier von freilaufenden Hühnern am Morgen danach nicht auf den Frühstückstisch geschafft. Als ich wieder in der Stadt war, klebten Hühnerfedern, Eigelb und Druckerschwärze an mir. Im Taxi nach Hause versuchte ich es wegzubekommen, nur mit der Druckerschwärze gab ich mich erst gar nicht ab – das meiste war ohnehin an Stellen, wo es keiner sah.
Ich nahm immer ein Taxi am Stand gegenüber der Hauptpost, weil der letzte Bus längst weg war. Oben an der Straße stieg ich aus und schlich auf Zehenspitzen weiter, um Angelica
Weitere Kostenlose Bücher