Gleichbleibend Schoen
überwältigte mich. Ich musste mich setzen, also nahm ich die Schaukel. Sie schwang zurück, dann vor. Eine verführerische Bewegung. Meine Zehen erinnerten sich an Kindheitstage, wirbelten Staub auf und trafen den Boden bei der nächsten Rückwärtsbewegung genau am richtigen Punkt, um die Schaukel noch höher schwingen zu lassen. Der Sitz unter mir wurde warm. Ich zog den Rock hoch und schmiegte meinen Hintern an das glatte gemaserte Holz, wickelte die Hände um die Ketten und ließ mich im Luftwirbel nach hinten sinken. Die Augen geschlossen, den Kopf weit im Nacken. Ich erkannte die Zeichen. Schaukelschwindel. Um möglichst schnell zu entkommen, riss ich die Hände los und sprang. Ich schürfte mir die Knie auf, raues Gras schnitt mir in die Beine. Meine Handgelenke hatten Schrammen und Druckstellen von der Kette. Sie schmerzten, als das Blut zurückschoss. Wo das Gras in meine Fesseln geschnitten hatte, bildete sich eine Kette aus Blutperlen. Ich setzte mich auf den Boden, lehnte mich an ein Schaukelbein und beobachtete, wie jede einzelne kleine Blutperle anschwoll, bis sie zum Bersten voll überquollen, eine nach der anderen, und hinabflossen wie dünne rote Bänder an einem Maibaum. Ich hob einen scharfkantigen Stein auf, der nützlich aussah – ein Werkzeug, die Jagdwaffe eines lange toten Aborigine. Ich rammte die spitze Seite gegen das Schaukelbein. Nichts geschah. Die Farbe war zu dick, die Moleküle klebten fest zusammen. Undurchdringlich. Unzerstörbar. Ich drehte meine Waffe auf die flache Seite und kratzte kräftig über die Farbe. Eine kleine Locke löste sich. Ich kratzte weiter. Jetzt klebte eine dünne Schicht Schaukelfarbe an meinem Stein. Ich kratzte und kratzte, meine Zähne knirschten vor Anstrengung. Farbschicht für Farbschicht löste sich. Bald war die Schicht auf meinem Stein dicker als die auf der Schaukel. An einer kleinen Stelle war der blanke Stahl zu sehen. Ich rieb mit dem Finger über die Stelle. Sie glänzte leicht. Die Sonne wurde kräftiger. An meinen schweißfeuchten Fingern klebten winzige grüne Sprenkel. Ich leckte jeden kleinen Fleck mit der Zungenspitze weg, es schmeckte bitter und gefährlich. Bleivergiftung. Mir fielen alte traurige Zeitungsgeschichten über tote Kinder ein, die still und kalt in ihren Laufställen lagen, die Münder von der Bleifarbe ihrer Spielsachen verschmiert. Ich versuchte, alles wieder auszuspucken. Es ging nicht. Farbe ist hartnäckig und tut, was von ihr erwartet wird: fest an den Oberflächen haften, auf die man sie streicht. Auch egal. Ich wollte mir gerade das nächste Schaukelbein vornehmen, als in der Nähe ein Hund bellte. Ein Mann lief mit ihm über den Strand. Ich richtete mich aus meiner knienden Position auf, schmierige Streifen von Blut, Schweiß und Staub an meinen Beinen. Mann und Hund machten kehrt und kamen über den Strand auf mich zu. Ich deckte die verwundete Schaukel mit dem Rücken ab. Meine Finger schlossen sich um den Stein.
» Alles in Ordnung, Miss?« Offenbar die ersten Worte des Tages, sie grollten aus seinem noch halb schlafenden Bauch hoch. » Hatten Sie einen Unfall?« Er schaute über den menschenleeren, diesigen Horizont, als suchte er nach einer Erklärung. Unter meinem erstaunten Blick zog sich der Dunst zurück und enthüllte eine komplette Invasionsflotte von Kriegsschiffen. Gewehre richteten sich auf den schutzlosen Strand. Genauso schnell waren sie wieder verschwunden. Nächster Akt. Plötzlich war ich fürchterlich müde.
» Nein, nicht wirklich. Ich bin von der Schaukel gefallen. War dumm von mir. Schaukeln konnte ich noch nie widerstehen.« Ich versuchte ihn mit einem passenden Kleinmädchenlächeln zu überzeugen. Mein Gesicht war zu müde dazu, stattdessen funkelte ich ihn böse an. Er funkelte zurück und ging weiter.
Ich steckte den Stein in die Tasche und lief zum Wasser. Der Sand begann warm zu werden, einzelne körnige Kristalle glitzerten verwegen zwischen meinen Zehen. Ich watete bis zu den Knien ins Wasser. Kalte Salzigkeit stach antiseptisch in den kleinen Schrunden und Schnitten in meiner Haut. Ich schöpfte mir Wasser ins Gesicht, bis ich ruhig und gelassen wurde. Zeit, nach Hause zu gehen. Ein Streifen glitzernder weißer Muscheln zog sich wie eine duftige Spitzenmanschette am Meeresrand entlang. Ich hob eine Handvoll auf und steckte sie in die Tasche zu dem Stein. Als ich den Strand hochging, fühlte sich der Sand unter meinen meeresgekühlten Füßen heißer an. Der Tag begann. Der Hund
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