Gleichbleibend Schoen
ihrer Geburt angewöhnt. Damals wartete ich immer – halb sorgenvoll, halb hoffend – darauf, dass ihr Atem stehen blieb. Angelica machte keinerlei Anstalten, wach zu werden, deshalb ging ich zurück ins Bett. Bevor ich einschlief, stand ich noch einmal auf und hievte die große Tasche aus dem Schrank. Ich krabbelte unters Bett, fand die Peitsche und steckte sie zu Stiefeln und Pullover. Dann legte ich mich wieder ins Bett und wartete schlaflos darauf, dass der Donnerstag begann.
*
Er begann schlecht. Schwiegermutter sagte, sie sei erkältet.
» Nichts Schlimmes. Eigentlich nur ein kleiner Schnupfen. Aber ich weiß nicht, ob wir riskieren sollten, dass sich Angelica ansteckt.«
» Ach was. Mach dir keine Sorgen. Wirklich, es gibt keinen Grund dazu. Sie ist sehr zäh.« Ich schüttelte Angelica ordentlich durch, um zu beweisen, dass nichts an ihr rasselte oder locker war. Dabei hatte ich nicht die geringste Ahnung, ob sie zäh war oder nicht, denn Angelica war noch nie krank gewesen. Sie strahlte mich mit rosig vertrauensvollem Gesicht an.
» Ach, ich weiß nicht, Liebes. Eine Erkältung kann für ein Baby ziemlich scheußlich sein. Vielleicht ist es besser, wenn ich heute nicht mit ihr zusammen bin.«
» Solange du sie nicht direkt anatmest, ist es sicher kein Problem.« Panik stieg in mir auf. » Halte sie einfach immer auf eine Armeslänge Abstand oder so. Ich muss los. Ich muss jetzt wirklich gehen, weil gleich der Bus kommt. Außerdem warten sie auf mich. Es ist zu spät, um abzusagen. Sie haben nämlich kein Telefon, das ist das Problem.«
Ich drückte ihr Angelica in die Arme und trat den Rückzug durch die Fenstertür an. Die halbe Strecke über den Rasen gab ich noch zusammenhanglose Erklärungen von mir, dann rannte ich. Ich lief die Straße entlang und wiederholte dabei immer wieder: » Ich muss los, ich muss los.« Wie die kleine rote Lokomotive aus dem Kinderbuch, nur waren meine Beweggründe weniger ehrbar.
Der Bus in die Stadt hatte Verspätung, fast hätte ich meinen Anschluss verpasst. Der Fahrer warf mir einen flüchtigen Blick über die Schulter zu. Als er mich erkannte, schenkte er mir zur Begrüßung ein vertrauliches Grinsen. » Tach auch, wie man hier sagt. Bist ein bisschen spät dran heute, was? Hab aber auf dich gewartet, was sagste dazu?« Er fuhr los.
» Vielen Dank.« Ich lächelte und setzte ein dankbares Gesicht auf.
» Alle gut festhalten. Ding, ding!«, rief er. Der Bus schlingerte aus dem Busbahnhof direkt in den Gegenverkehr. Die Straße explodierte: wütendes Hupen, blendendes Sonnenlicht. Vor mir tanzte und schillerte der hitzefeuchte schwarze Asphalt. Das Transistorradio knisterte laut. Allmählich fühlte ich mich besser. Ich wühlte in meiner Tasche nach dem Portemonnaie, öffnete es und reichte ihm das Fahrgeld.
» Nein, Süße. Vergiss es. Ich kann dir doch keine Kohle abnehmen, oder?« Er schürzte die Lippen und ließ sie nachdenklich vibrieren. » Schau mal, ich hab mir die Hände gewaschen.« Er hielt sie mir hin. Beide. Der Bus schoss Richtung Straßenmitte, alle Passagiere starrten uns an. Halb stehend und diesmal mit beiden Händen am Lenker, riss er den Bus zurück. » Und die Nägel hab ich auch sauber gemacht. Wie du gesacht hast.«
» Habe ich das?« Ich schaute auf seine Hände. Die Fingernägel auf dem Plastiklenkrad waren frisch ausgekratzt und leuchteten weiß.
» Ja, haste gesacht. ›Nächstes Mal machst du dir vorher die Nägel sauber. Ich hab Angst, mir was zu holen.‹ Also: Jetzt ist nächstes Mal, und meine Nägel sind sauber.«
» Ja, das sehe ich. Na super. Bis später dann.«
» Yeah. Bis später. Heute Abend, ’ne?« Diesmal zwinkerte er mir zu und verzog seine fette Oberlippe zu einem mokanten Elvis-Presley-Grinsen.
Ich ging durch den Mittelgang zu einem leeren Platz ganz hinten im Bus. Er rief mir etwas nach. » Ich hab ’ne Nagelfeile in meiner Tasche. Für den Fall, dass sie tagsüber schmutzig werden. Und ein Päckchen von diesen Feuchtreinigungstüchern aus der Drogerie hab ich auch dabei, um meine Hände abzuputzen.« Ich lächelte, winkte in einer schlechten Queen-Parodie, verstaute meinen Beutel unterm Sitz und ließ mich erleichtert hineinsinken.
Meine Mitpassagiere warfen mir heiter fragende Blicke zu. Ich lächelte, winkte auch ihnen und kehrte ihnen den Rücken zu. Konzentriert schaute ich aus dem Fenster auf das hinter uns zurückfallende Stadtzentrum. Als sich alle häuslich auf ihren Plätzen eingerichtet hatten,
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