Gleichbleibend Schoen
nahm ich meinen Kamm heraus und zog ihn mir durchs Haar. Im Spiegel über dem Fahrersitz begegnete mein Blick dem des Busfahrers. Er zwinkerte mir fröhlich zu und leckte sich über die Lippen. Ich widmete mich wieder dem Fenster.
Der Bus hielt vor dem großen Krankenhaus am Stadtrand. Ein alter Mann in einem fast bodenlangen grauen Regenmantel stieg ein. Als er durch den Bus auf mich zukam, sah ich, dass er unter dem offenen Regenmantel ein bis zum Hals zugeknöpftes Synthetikhemd trug. Unter dem glänzenden transparenten Stoff zeichnete sich ein Netzhemd ab, durch das verschwitztes graues Brusthaar lugte. Auf und zu schwang der Regenmantel, sodass mir immer wieder knielange graue Shorts, Krampfadern, karierte Socken und offene Plastiksandalen entgegenblitzten.
Er trug eine große Gladstone-Tüte. Kaum hatte er auf dem Sitz mir gegenüber Platz genommen, begann er zu husten. Tief unter seinem Netzhemd rasselte es. Verzweifelt durchstöberte er die Tasche auf seinem Schoß, eindeutig ein Rennen gegen die Zeit. Das Rasseln stieg höher. Was immer da unten brodelte, es hatte fast die Oberfläche erreicht. Eine rot-blau gestreifte Pyjamajacke landete im Mittelgang. Grobkörnige Staubwolken und zerfledderte Hühnerfedern wirbelten auf. Der Alte warf alles aus seiner Tüte, er schien etwas zu suchen. Mit einem erleichterten Seufzen, das mit einem ekelerregenden Gurgeln in seiner Kehle zusammentraf, zog er einen durchsichtigen Plastikcontainer heraus. Er hielt ihn triumphierend hoch wie die Gastgeberin einer Tupperparty, die glückstrahlend die jüngste Linie präsentiert. Dann spuckte er geräuschvoll hinein. Er schloss den Deckel wieder und kontrollierte, ob die Dose luftdicht verschlossen war. Zufrieden hielt er sie ans Fenster und schwankte mit verzücktem Blick den Inhalt hin und her.
» Sie haben mir diese kleinen Dosen im Krankenhaus gegeben. Ich habe noch ganz viele davon hier drinnen.«
Ich bückte mich und hob seine Pyjamajacke und eine ausgedrückte, zerquetschte Zahnpastatube auf, die direkt unter meinem Platz gelandet war. Er nahm sie entgegen und verstaute alles bedächtig in der Tüte. Zum Schluss packte er vorsichtig den Plastikcontainer drauf. Dann drückte er sich die Tüte an die Brust und stützte das Kinn auf dem Container ab. » Die wollen sie mit dem Zeug drin wiederhaben«, sagte er zu mir. » Ich schicke es ihnen ins Krankenhaus, und sie schauen es sich unterm Mikroskop an. Wissen Sie, ich habe eine Infektion im Brustkorb. Schon seit Jahren. Aber irgendwie scheinen sie das nicht in den Griff zu kriegen.« Als wäre es damit an seine Hartnäckigkeit erinnert worden, ging das Rasseln in seiner Brust von Neuem los. Wieder hektisches Kramen in der Tüte.
Dieses Spielchen wiederholte sich mehrmals während der Busfahrt. Da ich dem Alten am nächsten saß, half ich ihm jedes Mal, seine Habseligkeiten wieder einzusammeln, nachdem sie durch den Bus geflogen waren. Keine Zeit mehr, aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft zu schauen.
Als ich gerade unter meinem Sitz nach dem Kamm des Alten tastete, blieb der Bus ruckartig stehen. Ich fiel nach vorn und schlug mit der Stirn gegen eine Bananenkiste.
» Da steht dein bekifft aussehender Freund und wartet auf dich. Wie nett von ihm. Hier ist seine Fanpost.« Der Busfahrer winkte mit einer Handvoll Briefe.
Ich reichte dem Alten seinen Kamm. Er war aus Metall, die Zähne standen weit auseinander und waren dafür gemacht, mit viel dichtem Haar fertigzuwerden. Eindeutig ein Relikt aus seiner Jugend, denn mittlerweile war er fast glatzköpfig.
» Vielen Dank«, sagte er. » Ist doch ein hübscher Kamm, nicht? Hab ihn früher für meinen Hund benutzt. Und als der Hund gestorben ist, fand ich es zu schade, ihn wegzuschmeißen.«
» Willste noch den ganzen Tach hier weiterplaudern?«, rief der Busfahrer. » Ich hab leider ’ne Menge Zeugs abzuliefern, weißte. Die Leute warten auf mich.«
Ich verabschiedete mich von dem Alten.
» Bis heut Abend, Schatz«, flüsterte der Fahrer, als ich die Briefe entgegennahm und aus dem Bus stieg. Als er wieder anfuhr, fiel mir zu spät auf, dass ich Stiefel und Pullover unterm Sitz liegen gelassen hatte. Und die Peitsche.
*
Ben kam über die Straße. Ich reichte ihm die Post. Arm in Arm gingen wir zum Haus. Ich erzählte ihm von dem vergessenen Beutel, aber er sagte, das sei nicht schlimm. Es sei zu heiß für Pullover und Stiefel, und mit einer Peitsche könne er im Moment nichts anfangen. Er fragte nicht, wo
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