Gleichklang der Herzen
darf niemals eine bezahlte Unterhaltungskünstlerin in Vauxhall aufsuchen.“
„Warum nicht?“, fragte Ravella erstaunt. „Die Señorita ist doch deine Freundin.“
„Wer hat dir das gesagt?“
„Ich hörte es.“
„Also deshalb bist du hingegangen? Du wolltest meine Freundin ausspionieren.“
„Nein, nein!“, rief Ravella beschwörend. „Ich habe nicht spioniert. Das musst du mir glauben.“
„Dann war es also nur Neugierde, ganz gewöhnliche Neugierde“, höhnte der Herzog.
Ravella schwieg. Sie hielt den Kopf gesenkt und hatte Mühe, nicht in Tränen auszubrechen.
„Du schweigst, und so werde ich wohl für dich die Antwort geben müssen“, erklärte der Herzog. „Wenn du mir nichts zu sagen hast, muss ich Schritte unternehmen, damit du nicht wieder gegen alle Regeln der guten Sitte verstößt. Ich bestehe darauf, dass man mir in meinem Haus gehorcht. Harriette, die ich zu deinem Schutz hierher holte, kann dich offenbar nicht bändigen. Ich überlege nun, ob ich dich zu einer meiner verheirateten Schwestern oder zurück in die Schule schicken soll.“
Ravella schrie auf, lief zum Herzog hinüber und kniete neben ihm nieder.
„Nein, nein!“ Die Tränen liefen ihr über die Wangen. „Das kannst du nicht tun! Bitte, bestrafe mich, wie du willst, aber lass mich bei dir bleiben. Ich wollte nicht spionieren und bin nicht aus Neugierde nach Vauxhall gegangen.“
„Warum denn?“, fragte er kühl.
„Ich will dir die ganze Wahrheit gestehen, wenn du mich nur nicht wegschickst.“
„Auf einen Handel mit dir lasse ich mich nicht ein, ich will die Wahrheit wissen.“
Von Schluchzen unterbrochen, berichtete sie von dem Gespräch, das sie im Garten von Ranelagh belauscht hatte.
„Ich glaube zu wissen, wer die Sprecher waren“, sagte er. „Aber das erklärt noch nicht deinen Besuch bei der Señorita, wenn es nicht doch nur reine Neugierde war.“
„Ich beschwöre, dass es das nicht war. Bitte, bitte, schick mich nicht fort. Ich hatte Angst, dass du mich eines Tages loswerden wolltest, und glaubte, dass die Señorita irgendein Geheimnis oder einen Zauber besäße, um dich glücklich zu machen. Darum musste ich sie sehen und mit ihr sprechen.“
Als er schwieg, redete sie hastig weiter.
„Darum bin ich hingegangen. Versteh es doch bitte. Weil ich mir so sehr wünsche, dass du mich magst, möchte ich so gescheit und so reizvoll sein wie deine Freundinnen.“
Flehend sah sie ihn an. Ihre Lippen zitterten, und ihre langen Wimpern schimmerten feucht.
„Steh auf, Ravella“, sagte der Herzog.
Stattdessen rückte sie näher heran und fasste nach seinem Arm auf der Sessellehne.
„Nicht, ehe du mir nicht versprichst, dass ich hierbleiben darf. Verzeih mir, bitte, verzeih mir. Ich wusste nicht, dass es dich so erzürnen würde. Schick mich nicht weg! Ich könnte es nicht ertragen.“
Sein Ausdruck verriet nichts. Ravella drückte ihr Gesicht an seinen Ärmel und brach so sehr in Schluchzen aus, dass sie nicht mehr sprechen konnte.
Nach einer Pause sagte der Herzog: „Bitte, Ravella, ruiniere nicht diesen Rock. Er ist mir erst heute Morgen von meinem Schneider geliefert worden. Wenn du weiter weinen willst, leihe ich dir mein Taschentuch, doch versichere ich dir, dass es nicht nötig ist.“
„Du wirst mich also nicht fortschicken?“, flüsterte sie.
„Nein.“
„Oh, wie wunderbar!“
Sie sah ihn unter Tränen lächelnd an und betupfte mit seinem nach Gardenien duftenden Taschentuch ihre Augen.
„Bist du mir nicht mehr böse?“
„Du bist eine äußerst lästige junge Frau“, sagte er, „aber ich bin dir nicht böse.“
„Ich will mich bessern“, versprach sie demütig. „Wenn ich nur wüsste, in welcher Hinsicht ich Fortschritte machen könnte.“
„Meine liebe Ravella“, sagte der Herzog und stand auf, „bist du nie darauf gekommen, dass nichts langweiliger ist, als wenn jemand versucht, andere nachzuahmen?“
„Nein, daran habe ich noch nie gedacht“, gestand sie und hockte immer noch auf ihren Fersen. „Willst du damit sagen, dass du mich ein kleines bisschen leiden magst, so wie ich bin?“
„Jedenfalls würde ich es nicht mögen, wenn du versuchtest, eine andere Frau nachzuahmen.“
„Das freut mich, aber ich habe solche Angst, dich zu langweilen.“
Nun lachte der Herzog. „Es sieht nicht so aus, als ob du mich langweilen könntest. Oft ärgerst du mich und bringst mich außer Fassung, aber langweilen tust du mich nicht.“
„Ich verstehe, dass du die
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