Gleichklang der Herzen
Treppen heruntergelaufen und rief: „Warum hat mir niemand gesagt, dass Seine Gnaden so früh wegfahren würden? Diese lästigen Schneiderinnen kamen schon vor dem Frühstück. Ich wurde mit Stecknadeln gespickt und musste stillhalten. Ich hätte den Herzog so gern noch gesprochen.“
„Seine Gnaden waren heute Morgen in seltsamer Stimmung, Miss. Vielleicht war es besser, ihn allein zu lassen. Er will zum Abendessen zurück sein.“
„Er wird mit uns essen?“, fragte Ravella eifrig.
„Das nehme ich an, Miss. Haben Sie vergessen, dass Sie heute Abend bei Lady Hannan eingeladen sind?“
„Das habe ich nicht vergessen. Ich will mir ein schönes Kleid aussuchen. Danke, Nettleford.“
Sie lief wieder nach oben. Während der nächsten Stunden gab es allerlei zu tun. In der Bond Street musste sie neue Handschuhe und dazu passende Bänder kaufen, außerdem einen im Schaufenster ausgestellten Hut, dem sie nicht widerstehen konnte. Sie machte zwei kurze Besuche und beendete die Stickerei für eine Geldbörse. Es sollte ein Geburtstagsgeschenk für Lady Harriette werden.
Gegen fünf Uhr war es Zeit, sich umzukleiden. Lady Harriette, die einen Brief geschrieben hatte, legte die Feder hin. Sie wollte zu Hugh Carlyon gehen, um ihn nach einer Adresse zu fragen. Sie errötete dabei, und Ravella hatte das Gefühl, diese Frage wäre wohl nur ein Vorwand.
„Es wird nur wenige Minuten dauern“, sagte Lady Harriette zur Entschuldigung.
„Warum so eilig? Wir haben noch viel Zeit, und Hauptmann Carlyon wird Sehnsucht nach Ihnen haben. Leider kann er uns heute Abend noch nicht begleiten.“
„Nein, er ist ja auch nicht eingeladen. Morgen wird unsere Verlobungsanzeige in der Gazette und in der Morning Post stehen. Hugh hat mir versprochen, dass er sich dann nicht, länger verborgen halten will. Ich bin stolz auf seine Verwundung, und ich möchte auch ihm helfen, stolz darauf zu sein.“
„Bravo!“, rief Ravella und klatschte in die Hände. „Wenn Sie ihn nicht daran hindern, Madam, wird er sich noch weitere sieben Jahre hier verstecken.“
Lady Harriette verließ das Boudoir, und Ravella ging zu ihrem – Schlafzimmer. Im Flur kam ihr Lizzie mit einem Brief chen entgegen.
„Oh, Miss, ich dachte, Sie seien schon im Schlafzimmer. Ein Diener hat mir dies übergeben.“
Ravella nahm das Briefchen in Empfang. Es war aus grobem Papier und primitiv versiegelt. Sie erbrach das Siegel, las die Mitteilung und erstarrte.
„Fehlt Ihnen etwas, Miss?“, fragte Lizzie besorgt.
„Nein, nichts. Ich möchte nur einen Augenblick allein bleiben. Ich werde klingeln, wenn ich dich brauche.“
Schnell lief sie in ihr Zimmer und schloss die Tür. Dann horchte sie, bis Lizzies Schritte sich entfernt hatten. Wieder starrte sie auf den Brief in ihrer Hand, als wollte sie jedem Buchstaben die geheime Bedeutung entreißen. Die Nachricht enthielt nur wenige Zeilen, und die wusste sie bereits auswendig.
Verzweifelt sah sie sich um, lief zum Schrank und entnahm ihm einen schlichten, dunklen Umhang mit Kapuze. Sie schlüpfte hinein und holte vom Toilettentisch ihren Beutel mit der Geldbörse. Sie besaß einige Guineas in Münzen und eine Fünfpfundnote für noch ausstehende Einkäufe.
Wie könnte sie unbemerkt aus dem Haus kommen? In der Halle würden zwei Lakaien wie gewöhnlich Dienst tun. Wenn sie den Dienstboten-Eingang im Keller benutzte, würde man sie bestimmt sehen und ausfragen. Es gab nur einen Ausweg. Carlyons Zimmer hatten eine direkte Verbindung zu der Charles Street. Zum Glück waren die Dienstboten beim Abendessen. Als sie am Salon vorbeihuschte, hörte sie drinnen die Stimmen von Hugh Carlyon und Lady Harriette.
Leise ging sie eine kleine Treppe hinunter zu der schmalen Seitentür. Sie war verriegelt, aber Ravella brachte es fertig, sie zu öffnen. Schon stand sie auf der Straße. Noch war es hell, und die Luft war warm und trocken, aber schon wurden die Schatten länger.
Sie befand sich in der Charles Street, aber die Nachricht verwies auf die Hill Street, ein wenig oberhalb des Berkeley Platzes. Zur Sicherheit schaute sie noch einmal in ihren Beutel. Er enthielt ihre Geldbörse, ein Taschentuch, ein Riechfläschchen, aber nicht den Brief. Sie musste ihn im Haus vergessen haben. Unmöglich, ihn zu holen! Am Haupteingang würden die Diener ihr öffnen.
Ravella war von Furcht gepackt, nicht für sich, sondern für den Herzog. Was war geschehen? Auf welches Abenteuer hatte sie sich eingelassen? Sie hatte keine Minute lang
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