Gleichklang der Herzen
großen Damen der Gesellschaft, die wir auf Bällen und bei Soupers treffen, ziemlich anstrengend findest“, gab Ravella zu. „Sie sind so affektiert und sagen nie, was sie denken. Dagegen sind die Damen, die ich hier am ersten Abend traf, und auch die Señorita Deleta ganz anders, irgendwie lebendiger. Sie mögen dich, sie lieben dich und zeigen es offen.“
Der Herzog ging zum Schreibtisch und spielte mit seinem Siegel. Dann sagte er: „Ich habe überall Freunde, Ravella. Ich mag sie, und sie amüsieren mich. Das bedeutet jedoch nicht, dass du sie nachahmen sollst oder ihre Bekanntschaft für besonders erstrebenswert hältst. Nun geh zu Bett und denk daran, dass kein Mensch von deinem Ausflug nach Vauxhall erfahren darf.“
„Kann ich nicht noch ein Weilchen bei dir bleiben?“
„Nein. Ich muss nachdenken.“
„Das klingt sehr ernst. Worüber?“
„Es wird dir sicher schmeicheln, wenn ich dir sage, dass ich über dich nachdenken muss – und über mich.“
„Das sind hoffentlich gute Gedanken. Ich danke dir auch noch einmal dafür, dass ich bleiben darf.“
Sie knickste, und ihre Lippen berührten leicht seine Hand. Dann lief sie zur Tür.
„Gute Nacht“, sagte sie leise.
Die Tür fiel hinter ihr zu. Der Herzog murmelte etwas, was nach Überraschung, vielleicht auch nach Ungeduld klang. Er zog am Klingelzug. Nettleford erschien und brachte ihm Wein.
„Ich möchte mich entschuldigen, Euer Gnaden“, sagte er. „Als Euer Gnaden heute Abend zurückkamen, hätte ich gleich eine Bestellung von Hauptmann Carlyon ausrichten sollen, habe es aber leider vergessen. Er möchte Euer Gnaden so bald wie möglich sprechen.“
„Falls der Hauptmann noch nicht zu Bett gegangen ist, Nettleford, dann sagen Sie ihm, dass ich hier in der Bibliothek bin.“
Während er wartete, nippte er nachdenklich am Wein. Er schien ihm nicht zu schmecken, denn er setzte das Glas ab und ging mit gerunzelter Stirn auf und ab. So fand ihn Hugh Carlyon. Sein Gesicht verriet etwas, was der Herzog noch nie an ihm bemerkt hatte, nämlich den Ausdruck von stillem, vollkommenem Glück.
Am nächsten Morgen ließ der Herzog seine Schwester Harriette kommen. Sie sah reizender denn je aus.
„Man sieht dir an, dass du verliebt bist, Harriette. Muss ich dir noch zusätzlich Glück wünschen?“
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. „Nein, Sebastian, ich bin schon vollkommen glücklich. Hast du Hugh gesprochen?“
„Er hat mich mit der Versicherung, dass er der glücklichste Mensch auf der Welt wäre, bis in die frühen Morgenstunden aufgehalten.“
„Und ich bin die glücklichste Frau der Welt. Ich dachte, ich würde ihn nie Wiedersehen, und nahm an, er sei im Krieg gefallen.“
„Ich hatte keine Ahnung davon, dass ihr euch früher einmal nahegestanden habt“, sagte der Herzog.
„Es wussten nur wenige, aber ich konnte Hugh nie vergessen. Für ihn war ich die einzige Frau in seinem Leben geblieben. Wirst du unseren Bund segnen, Sebastian?“
„Das ist wohl kaum nötig und auch nicht viel wert. Wenn du es aber unbedingt möchtest, gebe ich dir meine Einwilligung und meinen Segen.“
Lady Harriette ergriff seine Hand. „Ich bete, dass auch du eines Tages glücklich wirst, Sebastian, und ich glaube daran. Alles, was Charlotte, Elinor und die anderen über dich reden, ist Unsinn. Wie liebevoll bist du zu mir, zu Hugh und auch zu Ravella gewesen.“
„Ravella!“, rief der Herzog. „Das Mädchen ist zu einem Problem geworden. Was soll ich machen, wenn du mit Hugh zusammen von hier fortgehst?“
„Wir gehen nicht fort, außer wenn du es wünschst. Alles bleibt, wie es ist, nur dass wir so bald wie möglich mit deiner Einwilligung heiraten.“
„Ich glaube, Hugh hat sich das alles nur ausgedacht, um Melcombe-Haus einen moralischen Anstrich zu geben. Also gut, Harriette, plane mit Hugh zusammen alles so, wie es euch passt.“
Als sie gegangen war, rief der Herzog nach seinem Wagen.
„Ich fahre zu einem Hahnenkampf“, sagte er zu Nettleford, „und werde erst zum Abendessen zurück sein. Der Geruch nach Moral und hochzeitlichen Orangenblüten in diesem Haus ist kaum noch auszuhalten.“
„Orangenblüten, Euer Gnaden?“, staunte der Butler.
„Es wird mir einfach zu viel“, meinte der Herzog.
Kopfschüttelnd sah der alte Butler seinem Herrn nach, der lächelte, als er seine Pferde durch die belebten Straßen lenkte, die zur Ausfahrtstraße nach Norden führten.
Ravella kam die
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