Gleichklang der Herzen
Gedichte begeben hatten, die noch unvollendet waren, hatte Romana den Eindruck gehabt, dass sie einander beinahe freundschaftlich behandelt hatten.
Sie hatten über die Übersetzung diskutiert und sich gestritten.
„Sie irren Sich, ich weiß es ganz genau! Das ist nicht das richtige Wort“, hatte Romana in einem Fall gesagt.
„Warum denn nicht? Ich finde, es ist genau dasselbe Wort, dass Ihr Vater in einem anderen Gedicht verwendet hat“, hatte der Marquis erwidert.
Er war viel schneller und aufnahmefähiger, als sie erwartet hatte. Und als er ihr ein von ihrem Vater übersetztes Gedicht mit tiefer, melodiöser Stimme vortrug, klangen die Verse wie Musik.
Es war schon nach Mitternacht, als der Marquis auf seine Taschenuhr blickte und Romana hastig bemerkte: „Oh, es tut mir so leid. Wir hätten schon längst aufhören sollen. Aber ich habe mich so von Papas Arbeit begeistern lassen und habe dabei ganz vergessen, dass Ihr Interesse natürlich nicht so groß sein kann, wie es bei mir der Fall ist.“
„Ich habe jede Sekunde genossen. Und ich sage das jetzt nicht aus Höflichkeit, sondern aus ehrlicher Überzeugung.“
Romana sah ihn prüfend an, als könnte sie nicht glauben, was er da eben gesagt hatte. Dann lächelte sie.
„Ich wünschte, Papa hätte hören können, was Sie gesagt haben. Es lag ihm immer so viel daran, dass sich junge Menschen mit der Bedeutung der griechischen Philosophie auseinandersetzen. Er war der Ansicht, dass ihnen dieses Wissen in jeder Hinsicht helfen könnte, was auch immer sie beruflich tun würden, besonders aber in der Politik.“
„Wollen Sie damit sagen, dass ich mich noch mehr mit griechischer Philosophie beschäftigen sollte? Mehr als ich es augenblicklich tue?“
„Ich glaube, dass es wichtig ist.“
„Warum?“
„Weil unser Land in dieser Zeit gute Politiker braucht.“ „Um gegen Napoleon anzutreten?“
„Natürlich! Wir mögen ihn hassen, und wir mögen ihn fürchten. Aber ohne Zweifel ist er eine starke geistige und physische Potenz, die ganz Europa und auch uns bedroht.“
Der Marquis war überrascht. Er war es nicht gewohnt, dass Frauen eine eigene politische Meinung äußerten.
„Wir haben Waffenstillstand“, sagte er schließlich.
„Was glauben Sie, wie lange er dauern wird?“
Sie begannen, leidenschaftlich zu diskutieren. Als die Uhr auf dem Kamin die erste Stunde schlug, sprang Romana auf.
„Oh, es tut mir leid, wir hätten längst zu Bett gehen sollen. Aber Sie haben mich auf dieses Thema gebracht, das mich so brennend interessiert.“
„Das habe ich bemerkt! Und das ist eine Ihrer weiteren Überraschungen für mich. Wenn Sie noch mehr bereithaben, werden Sie mich nach Luft schnappen sehen, oder es trifft mich noch der Schlag.“
„Das ist immer noch besser, als zusehen zu müssen, wie Sie mühsam das Gähnen unterdrücken.“
„Habe ich das getan, als wir am ersten Abend zusammensaßen?“
Romana lachte. Und ihr Lachen klang echt und natürlich.
„O nein! Da haben Sie mich mit Ihren Blicken verflucht und hätten mich in Gedanken am liebsten umgebracht. Und ich … ich hatte nur den einen Wunsch, fortzulaufen und mich irgendwo zu verstecken.“
Ein leichtes Beben lag in ihrer Stimme, das ihm verriet, wie schrecklich jene Stunden für sie gewesen sein mussten, selbst wenn sie jetzt auch scherzend darüber sprach.
„Ich hoffe nur, dass Sie nun keine Angst mehr vor mir haben“, sagte er leise.
Sie sah zu ihm auf, und er meinte sicher zu sein, dass das ängstliche Flackern jetzt aus ihren Augen verschwunden war.
Dann sagte sie: „Sie sind so freundlich und so verständnisvoll gewesen, was Papa angeht. Und ich glaube nicht, dass jemand, der die griechische Philosophie liebt, mir Angst machen kann wie … wie Lord Kirkhampton.“
„Vergessen Sie ihn!“, befahl der Marquis energisch.
„Ich will es versuchen.“
Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
„Heute Nacht werde ich nicht an ihn denken Und auch nicht daran, was geschehen ist. Ich werde Papas Verse rezitieren, bis ich einschlafe.“
„Dann bin ich sicher, dass Sie gut schlafen werden. Gute Nacht, Romana.“
Er streckte ihr seine Hand entgegen, und als sie ihre Finger hineinlegte, hob er sie an seine Lippen.
Er spürte ihr Zittern. Und er war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob es noch Furcht war, die sie vor ihm erbeben ließ, oder aber seine Nähe?
Schon zog sie sich langsam von ihm zurück und verließ den Raum, ehe er etwas sagen konnte.
Der
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