Gleis 4: Roman (German Edition)
Hotel, sagte Véronique, sie merke erst jetzt, wie müde sie sei und kämpfe auch noch mit der Zeitverschiebung.
Ich habe denselben Weg, sagte Isabelle, ich kann Sie gern begleiten.
Das Hotel war gleich beim Bahnhof in Zürich Oerlikon und wurde oft von Flugpassagieren und Airline-Crews gebucht. Isabelle ging mit Véronique durch die Altstadt zum Paradeplatz, löste dort für sie eine Fahrkarte am Automaten und fuhr mit ihr im Tram bis zum Hotel.
Beim Abschied sagte sie, wenn Véronique sich entschieden habe, was sie mit Martins Leichnam machen wolle, werde sie ihr auf jeden Fall mit den Formalitäten behilflich sein.
Ob sie denn Zeit habe für so etwas, fragte Véronique, sie müsse doch bestimmt arbeiten.
Ich bin immer noch in den Ferien, antwortete Isabelle lächelnd, einfach nicht in Stromboli, sondern in Zürich.
Merci infiniment, sagte Véronique, küsste sie und ging an einer Gruppe rauchender Amerikaner vorbei durch die Schiebetür in die Empfangshalle.
Als Isabelle nach Hause kam, ging sie ins Badezimmer, kontrollierte, ob das Handy geladen war, zog den Stecker heraus und sah, dass wieder ein Anruf gekommen war. Wieder anonym.
7
»Hier sehen Sie eine Urne, die zum Abholen bereit ist«, sagte der Herr im anthrazitfarbenen Anzug mit der dunkelblauen Krawatte, der den beiden Frauen auf dem städtischen Bestattungsamt Auskunft gab.
Er hob eine verschnürte hochformatige Kartonschachtel mit einer Adressetikette hoch und stellte sie zwischen sich und den Frauen auf die Abstellfläche, sein Kopf schaute gerade noch darüber hinaus.
Da sei allerdings das kupferne Modell drin, deshalb sei sie recht schwer, aber mit der Variante aus Eschenholz werde das Paket natürlich leichter, »ce n’est pas tellement lourd«, sagte er zu Véronique, die es gerade kurz mit beiden Händen angehoben hatte. Sie nickte.
Sie werde, fuhr der Bestattungsbeamte fort, zusammen mit der Urne eine offizielle Bescheinigung des Inhalts bekommen, die sie bei der Einreise nach Kanada am Zoll vorweisen könne, falls das verlangt werde.
Auf dem Empfangsbestätigungsformular werde sie ausfüllen müssen, was sie mit der Urne und der Asche zu tun gedenke, also ob sie die Asche zu Hause aufbewahren oder verstreuen wolle, wenn ja, in einem See, in einem Fluss, im Meer, im Wald oder in den Bergen, aber das sei eine Formsache.
In einem Fluss, sagte Véronique.
Es sei eigentlich ohne Bedeutung, sagte der Bestattungsbeamte.
In einem Fluss, wiederholte Véronique, im St. Lawrence River.
Schön, sagte der Trauermann, »in einem Fluss« werde genügen.
Doch, im St. Lawrence River, sagte Véronique und schneuzte sich. Dann fragte sie, ob sie die Rechnung mit der Kreditkarte zahlen könne.
Selbstverständlich, sagte der Bestatter, wenn sie ihm die Nummer gebe, könne er ihre Gültigkeit noch kurz überprüfen, und ob sie eine Kontaktadresse in der Schweiz habe.
Als sie ihr Hotel angab, sagte Isabelle, er solle ihre Adresse aufschreiben, sie sei eine Freundin.
Etwas später waren sie wieder im Café, von dem aus man die Münstertürme sah, diesmal saßen sie draußen in der Vormittagssonne und tranken einen Schwarztee.
Isabelle hatte Véronique geholfen, alles Notwendige zu erledigen, der Totenschein von Martin, den die Polizei Véronique ins Hotel gebracht hatte, war abgegeben, sein Leichnam zur Kremation angemeldet, die Wartezeit bis zur Abholung der Urne sollte längstens drei Tage betragen.
Véronique dankte Isabelle, eine große Hilfe sei das für sie gewesen, eine Hilfe, zu der sie ja gar nicht verpflichtet gewesen wäre.
Das habe sie gerne gemacht, sagte Isabelle.
Drei Schwäne schwammen langsam gegen die Strömung der Limmat der Seemündung zu. Auf der Stadt hausbrücke stand eine grauhaarige Frau mit einem zappligen kleinen Mädchen. Das Mädchen griff in eine Papiertüte, die ihr die Großmutter hinhielt, und warf den Schwänen eine Handvoll Brotstücke zu.
»Voilà«, sagte Véronique, »et la vie continue.«
Isabelle nickte. Das Leben geht weiter, das denke sie auch immer, wenn jemand von ihrer Abteilung verabschiedet worden sei, wenn man aus der Krematoriumshalle heraustrete und die Vögel pfeifen und die Sonne scheine, und dann denke sie immer, wie schön es sei, noch zu leben.
Sie wisse noch gar nicht, ob sie irgendeine Trauerfeier für Martin machen solle, sagte Véronique, zur Kirche seien sie ja beide nicht gegangen … eine Einladung für die Familie und den Freundeskreis, das vielleicht.
Auf der Brücke ließ
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