Gleis 4: Roman (German Edition)
Studium, sie sei gerade dabei, jemandem zu helfen, dem wahrscheinlich Unrecht geschehen sei. Leider sei er schon tot. Und Véronique tue ihr leid.
Auf einmal begann Véronique zu weinen. »C’est tellement triste, tout ça«, das sei alles so traurig.
»Oui, c’est triste«, sagte Isabelle und legte ihren Arm um Véroniques Schulter.
Nach einer Weile zog Sarah die Kopien des Zivilstandsamtes hervor. »Übrigens, Martins Mutter war ledig und sein Vater unbekannt.«
Isabelle nahm das Blatt in die Hand. »Natürlich, da gab’s ja auch eine Mutter … Anna-Maria Wyssbrod … 1940 … die könnte sogar noch leben.«
Véroniques Handy meldete sich.
Es war Frédéric vom Reisebüro, der immer noch auf den Totenschein wartete, und Sarah anerbot sich, mit Véronique auf die Post zu gehen.
Als die beiden zurückkamen, war Sarah empört über den Preis für ein einziges Faxblatt, heute, wo ein E-Mail nichts koste und man stundenlang gratis skypen könne.
Isabelle aber saß an ihrem Notebook und hatte vier Blätter ausgedruckt.
»Schaut mal, ich habe das Telefonverzeichnis abgefragt. Meier Konrad gibt es im Kanton Zürich 7, Meier Conrad mit C gibt es 4.«
Sie schob ihnen die zwei Blätter zu.
»Aber Anna-Maria Wyssbrod gibt es in der ganzen Schweiz nur eine.«
Sie legte das dritte Blatt hin.
Berthod Anna-Maria (-Wyssbrod)
»Le Vieux Vignoble«
chemin des chipres 39
2016 Cortaillod/ NE
032 751 29 49
»Und was ist auf dem vierten Blatt?« fragte Sarah.
»Der Ortsplan von Cortaillod, damit wir wissen, wie wir dahin kommen.«
16
Véronique wunderte sich, dass Isabelle am Bahnhof Neuchâtel kein Taxi nahm, sondern zielstrebig auf einen Bus zusteuerte. Ob sie sich hier auskenne?
Nein, antwortete Isabelle, aber das könne man alles im Internet nachschauen, bei einer Adresse werde ja im Ortsplan die nächstgelegene Bushaltestelle angezeigt, die Buslinien auch, und die Verbindungen könne man ebenfalls abfragen – ob das in Kanada nicht auch so sei?
Das wisse sie gar nicht, sagte Véronique, sie brauche das nie, und die Ausflüge habe immer Martin organisiert, und meistens hätten sie das Auto benutzt. Ob sie kein Auto habe?
Nein, in einer Stadt wie Zürich sei das nicht nötig, der öffentliche Verkehr sei gut genug, und das gelte für die ganze Schweiz. Fahren könne sie schon, und wenn sie einmal eins brauche, für einen Transport oder so, dann miete sie eins.
Isabelle und Véronique saßen im Bus nach Cortaillod, Isabelle hatte einen großen Blumenstrauß quer über die Knie gelegt, den sie heute Morgen auf dem Markt in Oerlikon gekauft hatte, mit Sonnenblumen, Zinnien, Kornblumen und Getreiderispen, bei einer pausbäckigen alten Marktfahrerin, welche solche Sträuße in ihrem Bauerngarten zusammenstellte. Véronique war mitgekommen und war sehr angetan gewesen von der bunten Mischung der Stände, an denen von Gemüse, Salat, Obst, Beeren und Brot bis zu Fischen, Geflügel, Kaninchen und Pferdefleisch alles zu haben war. Seien es griechische Oliven, Tessiner Ziegenkäslein, persische Datteln, Steinpilze aus Montenegro oder frisch gepresster Apfelsaft, den man sich selbst abfüllen konnte, da machte sich ein einziges Nebeneinander von Genüssen breit und rief gleichzeitig zum Kauf und zur Lebensfreude auf, zum Bummeln und Grüßen und Schwatzen, und an den Rändern versuchten Überzeuger neben Plakaten, auf denen stand » NEIN zur…« oder »JA zu…«, die Bummelnden für ihre JA s oder NEIN s zu gewinnen. Wenn sie am Samstag nicht Dienst habe, hatte Isabelle gesagt, gehe sie immer auf den Markt, und Véronique hatte geantwortet, er erinnere sie ein bisschen an den Marché Jean-Talon in Montreal, auf dem die Bauern aus der Umgebung ihre Produkte anböten, viele Italiener auch, Martin habe nach seiner Pensionierung gerne dort eingekauft.
Sarah hatte sich für heute und morgen abgemeldet, da die Völkerrechtsprüfung näher rückte, und nun saßen die beiden Frauen im Bus nach Cortaillod, der sie zunächst durch den alten Teil der Stadt fuhr. Véronique war sehr angetan davon, un peu comme Québec, fand sie, das liege auch leicht erhöht über dem St.Lawrence River wie Neuchâtel am See, aber bei ihnen seien die Altstädte viel weniger alt.
Wie schade, dass Martin das nicht sehen könne, sagte sie, und wurde wieder an den Grund ihrer Reise erinnert.
Auf einmal drehte sie sich zu Isabelle, fasste sie am Oberarm und sagte, sie habe Angst, »j’ai peur«, und ob sie nicht besser umkehren sollten.
Sie
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