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Gleis 4: Roman (German Edition)

Gleis 4: Roman (German Edition)

Titel: Gleis 4: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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gestickten Deckchen geschützt war, und auf dem Kanapee gegenüber saß Frau Meier und schaute sie leicht befremdet an. Zwischen ihnen war ein kleiner Nierentisch, auf dem einige Illustrierten und Zeitungen lagen, zuoberst der »Anzeiger von Uster«, auf den Sarah ihre Schokoladekugeln hingelegt hatte. Auf einem Buffet, das etwas zu groß war für das Zimmer, stand ein Hochzeitsfoto, auf dem Sarah den jungen Meier sofort an seinem Blick erkannte. In einem Stehrähmchen daneben war ein Foto eines Mädchens im Schulalter, es trug eine Schürze, und seine zwei langen Zöpfe reichten bis über den unteren Bildrand hinaus. Der Stubentisch war mit Stoffstücken bedeckt, daneben stand eine Nähmaschine, an der Frau Meier gerade gearbeitet hatte.
    Sarah hatte einen Notizblock auf den Knien und schrieb auf.
    Und ob sie damals Kinder gehabt hätten?
    Ja, eine Tochter.
    Ob die Wohnung groß genug gewesen sei?
    Sarah blickte sich um. Es war die Art von Wohnung, in der sie Angst hätte zu ersticken.
    Ja, doch. Große Ansprüche habe man damals nicht gehabt.
    Und als die Tochter erwachsen gewesen sei, ob man von ihnen nicht verlangt habe, in eine kleinere Wohnung zu ziehen.
    Frau Meier sagte gar nichts.
    Das sei doch öfters ein Problem in genossenschaftlichen Wohnungen, dass man als junge Familie hineinziehe, und wenn die Kinder groß seien, sei die Wohnung zu groß und neue junge Familien beklagten sich darüber. Das sei also bei ihnen nicht so gewesen?
    Frau Meier schüttelte den Kopf und nahm noch eine Lindor-Kugel.
    Ob vor vierzig Jahren auch andere Paare hier eingezogen seien, die nun alle ebenfalls älter geworden seien?
    Es habe auch Wechsel gegeben, antwortete Frau Meier.
    Oft?
    Nicht sehr oft, nein, das Paar im unteren Stock sei geblieben, das Paar im obersten Stock auch, aber im zweiten Stock, also über ihnen, seien etwa drei Mal Leute ein- und wieder ausgezogen. Im Moment habe es leider ein Paar mit einem Kind.
    Wieso leider?
    Es schreie oft nachts, und die Wohnungen seien nicht gut isoliert.
    »Und haben Sie schon von Plänen gehört, dass die Wohnungen renoviert und modernisiert werden sollen?«
    Frau Meier erschrak.
    »Wieso denn? Gibt es solche Pläne?«
    Das wisse sie nicht, sagte Sarah, deshalb frage sie ja, aber die gebe es für viele genossenschaftliche Bauten, und natürlich würden dann die Mieten ansteigen.
    Sie hoffe nicht, dass sie das noch erlebe.
    Wieso nicht?
    »Man gewöhnt sich eben daran, wie es ist.«
    »Sie wünschen sich also keine Modernisierung?«
    »Nein«, sagte Frau Meier und griff nochmals nach einer Lindor-Kugel, »was würde denn das nützen?«
    Meistens würden doch Küche und Bad erneuert, sagte Sarah, mit moderneren Installationen.
    Das brauche sie nicht, sagte Frau Meier und ließ sich die Schokolade im Mund zergehen.
    Sarah überlegte sich, was es noch für Fragen gäbe, wenn sie wirklich eine Arbeit über genossenschaftliches Wohnen machen müsste.
    Dann fragte sie, ob sie schnell auf die Toilette dürfe.
    Alles in dieser Wohnung war eng, selbst die Luft. Vor dem Eintreten in die Toilette streifte man die Regenmäntel, die an den Garderobehaken im Korridor aufgehängt waren.
    Die WC -Schüssel war direkt neben einer Sitzbadewanne, sodass man sich mit einer Hand auf den Rand der Wanne stützen konnte. Gern hätte Sarah das Fenster geöffnet, wären da nicht mehrere Rollen Toilettenpapier und eine Aktionspackung Seifen auf dem Sims davor gelegen. Sie musste gar nicht auf die Toilette, setzte sich aber, um Zeit zu gewinnen, trotzdem auf die Klobrille und überlegte sich, wie sie weiterfahren könnte.
    Im Moment vollzog sie ihren Plan B, »K.Meier nicht da«. Bei Plan A, »K.Meier da«, hätte sie ihn direkt und ohne Umschweife nach der Tante gefragt. Bei ihrer Suche nach Meier Konrad war sie nach dem Ausschlussverfahren vorgegangen, hatte einen Garagisten und einen Tontechniker gestrichen, ebenso die drei, welche außerhalb von Zürich wohnten, hatte am Samstagmorgen die zwei Adressen aufgesucht, die übrig geblieben waren, die eine erwies sich als Villa am Zürichberg, und als sie kurz vor Mittag bei der zweiten über dem Eingang das Relief einer knienden Frauenfigur mit einer Garbe in den Händen sah, wusste sie, dass sie vor der richtigen Wohnung stand und nahm sich den Besuch für den Nachmittag vor.
    Ob die Mieten in den 40 Jahren stark gestiegen seien, wäre sicher eine Frage, ob sie an die Versammlungen der Genossenschaft gehen, eine andere, und ob sich viele Freundschaften

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