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Gleis 4: Roman (German Edition)

Gleis 4: Roman (German Edition)

Titel: Gleis 4: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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nachgeschlichen? Wenn sie nur auf sich aufpasste, sie war manchmal so ungestüm und unbedacht.
    Was sie sich denke, fragte Véronique, und Isabelle sagte, dass die Köchin weggegangen sei, sei doch seltsam, sie hoffe, dass nicht etwa Meier aufgetaucht sei und es zu einem Zwischenfall gekommen sei.
    Was denn Meier für einen Grund hätte, hier aufzutauchen.
    »Zum Beispiel, um mit dir zu sprechen«, antwortete Isabelle, »er hat mir nicht wirklich geglaubt, dass Martin nicht mehr lebt.«
    Ob sie schon versucht habe, Sarah anzurufen, fragte Véronique.
    Ach natürlich, das werde sie gleich tun. Sie ging zu ihrem Telefonapparat und tippte Sarahs Nummer ein. Aus der Küche ertönte ein Klingelton. Sarahs Handy lag hinter dem Kopfsalat auf dem Küchentisch.
    Entmutigt legte Isabelle den Hörer hin. Véronique fasste Isabelle am Arm und bat sie, sich nicht zu ängstigen, sicher werde Sarah jeden Moment zurückkommen.
    »Und wenn sie nicht kommt?« Isabelle traten die Tränen in die Augen.
    »Mais écoute …«, sagte Véronique und legte den Arm um ihre Schulter.
    »Hallo, Ma!« rief Sarah, und blieb dann verblüfft unter der Türe stehen, als sie die zwei Frauen in ihren Regenjacken sah.
    »Kind, wo warst du?« Isabelle ging zu ihrer Tochter und schloss sie heftig in die Arme.
    »Kind?« Sarah lachte. »Ich hab keine Spaghetti gefunden im Küchenschrank und war schnell im Bahnhofsladen.« Sie löste sich aus der Umarmung ihrer Mutter und hob ihre Tragtasche mit der Spaghettipackung in die Höhe. »Die hatten sogar die mit der Frau und den Ähren drauf, wie in der Geschichte von der ›Spaghettifrau‹, die ich als Kind so gern hatte. Siehst du?«
    Dann sah sie, dass Isabelle geweint hatte.
    »Ma, was ist? Hast du dir Sorgen gemacht?«
    Isabelle nickte.
    »Wegen mir?«
    Isabelle nickte nochmals. Sie kämpfte immer noch mit den Tränen.
    »Ich wollte euch doch überraschen.«
    »Das ist dir gelungen, Sarah. Ich weiß nicht, wieso ich plötzlich so erschrocken bin.«
    »Aber sonst geht’s dir gut? Kein Kopfweh, kein Herzrasen?«
    »Nein, nein, wie kommst du denn darauf?
    »Einfach so. Weil du so – so verändert bist.«
    »Wir hatten einen schönen Ausflug, und jetzt bin ich etwas müde. Das ist alles.«
    »Also, dann geht euch jetzt umziehen, du legst dich einen Moment hin, und in einer halben Stunde gibt es Spaghetti, okay?«
    »Sehr okay sogar.«
    Sarah war erleichtert. Sie hatte keinen großen Hunger, da sie nach der Sitzung mit Nubis Vater noch von Amandas Cookies und vor allem von ihren Chin-chins gegessen hatte, einem verführerischen Bananen-Snack. Jo hatte sich im Übrigen nicht mehr sehen lassen, und Amanda hatte sie gefragt, ob es wohl in der Wohnung schweizerisch genug aussehe, für den Fall, dass jemand von der Gemeinde vorbeikomme, »isch es bitzeli wie Schwiz?« Das hatte ihr Sarah gerne bestätigt, und von dort war sie dann gleich hierhergefahren.
    Später, als sie am Tisch saßen und zu einem Glas Chianti ihre Spaghetti mit den Gabeln aufrollten, erzählte Isabelle Sarah von ihrem gestrigen Besuch bei Martins Mutter, und wie diese ein Leben lang gehofft hatte, etwas von ihrem Sohn zu hören.
    Sarah schüttelte den Kopf. So etwas sei ja nicht zu fassen, eine solche Schweinerei. Und an jedem 1. August eine Rede über unsere Freiheit.
    Wenigstens glaube sie, dass das heute nicht mehr passieren könne, meinte Isabelle.
    Das habe Martin nicht mehr geholfen, sagte Sarah.
    Eine Weile aßen sie schweigend weiter.
    »It’s delicious«, sagte Véronique zu Sarah.
    »Thank you.«
    Dann fragte Isabelle, ob sie weitergekommen sei mit ihrem Völkerrecht.
    Ein bisschen, antwortete Sarah, aber auf einmal habe sie der ganze Stoff furchtbar genervt. Da sei also dieser Grotius gewesen in Holland, der im 17. Jahrhundert Grundregeln für die Kriege aufgestellt habe und dabei als einer der Ersten den Schutz der Zivilbevölkerung bei der Kriegsführung verlangt habe.
    Was sie denn daran genervt habe?
    »Dass er ein Mann war!« rief Sarah so laut, dass die beiden Frauen zusammenzuckten und ihre Gabeln niederlegten. »Wieso hat das keine Frau verlangt? Die Frauen waren doch dauernd die Opfer in den Kriegen. Überhaupt die ganze Rechtsgeschichte wurde von Männern gemacht! Die Geschichte auch, die Philosophie, die Theologie, die Literatur – wo waren wir? Wir haben sie bloß auf die Welt gestellt, all die Klugscheißer!«
    Isabelle nickte. »Zeit, dass sich das ändert.«
    Aber dass sich die Geschichte nicht mehr ändern lasse,

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