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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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KÜKEN! «
    »Du brauchst nicht so zu schreien, ich sitze neben dir.«
    »Sie war fast noch ein Küken.«
    »Aber schon ein sehr großes und aggressives Küken. Und brüll nicht, sonst gehst du zu Fuß weiter.« Willem räuspertesich. »Toon ist vermutlich auf dem Hof gewesen, und da ist sie hinter ihm her.«
    »Wie denn!«, sagte Gieles wütend. »Ich hatte sie in der Scheune eingesperrt. Toon ist ein beschissener Tierquäler. Immer schon gewesen. Als damals diese CO 2 -Gastonne in der Scheune stand, hat er einmal ein Kaninchen reingetan, nur so zum Spaß.«
    »Das wusste ich nicht«, sagte Willem erschrocken. Er schaute schräg nach oben. Etwa zwanzig Dohlen flogen in Richtung Westen. Relativ kleine Vögel, aber mehrere auf einmal konnten eine Turbine beschädigen. Er nahm das Handfunkgerät und meldete die Dohlen seinen Kollegen.
    »Dieses Kaninchen«, fragte er kurz danach. »Habt ihr das tatsächlich vergast?«
    »Du meinst Toon«, korrigierte ihn Gieles, immer noch wütend. »Er hat es da reingetan. Ich nicht.«
    Willem rieb seine gefurchte Stirn. »Aber ich habe immer die Gasflasche von der Tonne getrennt, sicherheitshalber. Wie habt ihr die wieder zusammengebastelt?«
    »Mensch, Papa, Toon kriegt alles zusammengebastelt. Der kann einen Rasenmäher so frisieren, dass er achtzig fährt. Mamas alten Lockenstab hat er damals auch repariert.«
    Willem machte ein entsetztes Gesicht.
    »Die Flasche war leer«, sagte Gieles. »Ich hab das Kaninchen wieder freigelassen.«
    Auf der Hauptstraße schwiegen sie ein paar Minuten, bis Gieles auf die Gans zurückkam. »Aber warum hat er ihr die Federn aus den Flügeln gerissen? Und der Hals war auch komisch. Sie muss schon tot gewesen sein, als er ihr den Hals so verdreht hat.«
    »Das war auf den Bildern nicht zu sehen.« Ein Punkt für Gieles. Toon junior hatte die Gans mutwillig so zugerichtet. »Er hat versucht, sie mit Schlägen zu vertreiben. Ich konnte sehen, dass er eine Art Knüppel aus der Tasche holte. Einen sehr kurzen, schwarzen Knüppel. Sah zumindest so aus.«
    Gieles schaute seinen Vater fassungslos an.
    »Hattet ihr eine Auseinandersetzung? Wieso nimmt Toon einen Knüppel mit, wenn er zu dir fährt?«
    »Keine Ahnung«, antwortete Gieles und schwieg.
    Willem parkte den Wagen direkt vor Dolly’s Haircorner. Der Friseursalon lag am Ende einer Ladenpassage, die schon bessere Zeiten gesehen hatte, neben einer Metzgerei. In der Umgebung der Metzgerei roch es ständig nach Reinigungsmitteln. Dolly lebte auf dem Kriegsfuß mit der Metzgerei, weil es auch bei ihr nach den Reinigungsmitteln stank. Sie hatte schon mehrmals das Ordnungsamt alarmiert. Außerdem geriet sie immer wieder mit dem Mieter der Wohnung über dem Salon aneinander. Er besaß einen Rottweiler, der den ganzen Tag auf dem Balkon bellte. Es raubte ihr manchmal den letzten Nerv.
    Als Gieles ausstieg, sagte sein Vater: »Ich glaube, es ist besser, wenn wir Meike nichts sagen.«
    Gieles nickte. Sie brachte es glatt fertig, Toon ebenso zu behandeln wie Toon die Gans. Er warf die Autotür zu. Sofort schlug der Rottweiler an. Er drückte seinen gedrungenen Kopf an die Stäbe des Balkongeländers.
    Das Schild in der Tür war schon mit der CLOSED -Seite nach außen aufgehängt, aber die Tür war nicht abgeschlossen. Dolly machte eine Viertelstunde früher zu als die anderen Geschäftsinhaber, sonst konnte sie die Jungen nicht rechtzeitig von der Tagesstätte abholen. Sie war beim Abrechnen der Kasse, murmelte Zahlen und schrieb sie in ein Heft. Große Umsätze machte sie nicht. Es war ein kleiner Salon mit vier Stühlen, und seit dem Ausbau des Einkaufszentrums war die Konkurrenz mörderisch, wie sie oft klagte. Sie war auf ihre Stammkunden angewiesen, die weder die laute Musik nochdie kalte Einrichtung der neueren Salons mochten. Deshalb blieb sie bei dem terracottafarbenen Anstrich der Wände und bei den Rattanmöbeln. Überall standen und hingen Pflanzen. Kunststoffpflanzen im Schaufenster. Kunststoffpflanzen mit langen Ranken – Dolly nannte sie Girlanden – an der abgehängten Decke.
    Gieles setzte sich auf die Rattanbank. Er fragte sich, wo Meike steckte. War sie schon am ersten Arbeitstag rausgeflogen und streifte jetzt durchs Einkaufszentrum? Oder war sie nach einer bissigen Bemerkung Dollys weggelaufen?
    Plötzlich empfand er eine heftige Abneigung gegen Dolly. Ihre harten Worte, ihr Geschimpfe und Geschrei. Ihr Gemecker über alles und jeden. Er dachte daran, wie sie Super Waling behandelt

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