Gleitflug
verschwunden.
Willem kam in die Küche, goss sich Kaffee ein und lächelte gerührt, als Meike verkündete, sie mache ihre eigene Kirschmarmelade. »Mein Name kommt auf die Gläser!«
Mit einer Tochter im Haus wäre sein Vater weniger schweigsam gewesen, glaubte Gieles. Aber Ellen hatte kein zweites Kind gewollt. Ihre Arbeit in der Luft und noch ein Kind am Boden, das war ihrer Ansicht nach nicht miteinander zu vereinbaren. Die Ferne zerrte an ihr wie eine starke Strömung. Es gab kein Zurück.
»Nicht zu viel Gelierzucker«, sagte Onkel Fred. »Sonst kannst du mit der Marmelade jemandem den Schädel einschlagen.«
Plaudernd füllten die beiden den warmen Brei in Gläser.
Gieles schaute aus dem Fenster, weil er seinen Vater nicht ansehen wollte. Willem nahm offenbar an, dass Meike und er schon miteinander schliefen. Gieles empfand das zwar als Kompliment, spürte nun aber auch einen gewissen Erwartungsdruck. Sie hatten sich ja noch nicht einmal geküsst. In der Nacht, in der sie zu ihm gekommen war, hatte er nicht wach bleiben können, und am Morgen hatte sie immer noch neben ihm gelegen und tief geschlafen. Ihr Gesicht war ein wenig feucht von Schweiß gewesen. Vorsichtig und erregt war er über sie hinweg aus dem Bett gestiegen.
»Jetzt muss sie abkühlen«, sagte Onkel Fred und stellte den Topf in die Spüle.
Meike nahm die Schürze ab und ging nach draußen, um zu rauchen. Als sie die Kippe in den Wassergraben geschnipst hatte, nahm Gieles sie zum Training mit. Er tischte ihr die gleiche Notlüge wie Super Waling auf: Er trainiere die Gänse, weil er sie bei einer Castingagentur anmelden wolle.
Sie gingen zu dem Maschinenschuppen. Meike schlenderte hinter den Gänsen her, sie trug ihre neuen Hello-Kitty-Flipflops, ein Geschenk von Dolly.
Wallie hatten sie auf dem Campingplatz zurückgelassen, mit der Babybadewanne und frischem Futter. Sie würde sie vorläufig nicht vermissen.
»Weißt du, was Dolly zu mir gesagt hat?« Sie waren jetzt auf dem grasbewachsenen Weg. »Dass man viel Selbstvertrauen braucht, wenn man so aussehen will wie ich.«
»Ich versteh nicht, was sie meint.« Er war immer noch wütend auf Dolly.
»Och, ich schon. Es ist viel leichter, so auszusehen wie du. Mit normalen Klamotten.«
Ein wenig gekränkt blieb er stehen. »Und warum machst du’s dir dann schwer?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie nachdenklich und drehte sich eine neue Zigarette.
Schweigend folgten sie Tufted und Bufted. Am Maschinenschuppen schlug er den Weg zur Kuhweide ein. Schon beim letzten Mal, kurz bevor Meike gekommen war, hatte er mit den Gänsen dort geübt.
»Was müssen sie für das Casting eigentlich können?«, fragte Meike.
»Verschiedene Sachen«, antwortete Gieles und öffnete das Gatter. »Um für einen Film ausgesucht zu werden, müssen sie eben entsprechend dressiert sein. Kennst du Indiana Jones und der letzte Kreuzzug ?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Den mit dem Flugzeug und den Vögeln?«
»Nie gehört. Dolly hat gemeint, ich würde einer Schauspielerin ähnlich sehen, Lara Flynn und noch was.«
»Sagt mir nichts.« Gieles schaute auf seine Armbanduhr. In einer Stunde wurden sie zum Babysitten bei Dolly erwartet.
Die Gänse watschelten auf die Weide und begannen sofort Gras zu rupfen. Sie beachteten die Kühe nicht, die in einiger Entfernung standen.
Meike war auf das Gatter geklettert und rauchte.
»Mein Vater und Onkel Fred dürfen auf keinen Fall wissen, dass die Gänse fliegen können.« Er sprach ernst und versuchte, ihr nicht zwischen die Beine zu schauen.
»Können sie denn fliegen?«
»Wenn Willem und Fred das rausbekommen, müssen die Gänse weg«, fügte er in dramatischem Ton hinzu.
»Das wär übel.« Erschrocken zog sie ihr Totenkopfshirt ein Stück über ihre weißen Schenkel, die in der Sonne glänzten.
Gieles führte die Gänse zum Rand der Weide, er versuchtedabei möglichst cool zu wirken. Dann warf er Spekulatius ins Gras, wiederholte mehrmals den Befehl »Bleib« und entfernte sich. Er wiegte sich in den Hüften, legte den Schirm quer über seine Schultern und die Handgelenke auf den Schirm.
Ich bin cool .
Am anderen Ende der Weide blieb er stehen und drehte sich um. Er stand nun ziemlich nah bei den Kühen. Zum Spaß machte er eine Bewegung, als wolle er auf sie zu rennen, und sie sprangen ängstlich ein Stück zur Seite. Er schaute zu Meike hinüber. Sie kicherte. Flirtete sie mit ihm?
Ein dicker Kuhfladen direkt neben ihm brachte ihn auf eine brillante
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