Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans

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sagt er dann auf einmal: ›Ach nein‹«, sie sprach mit einer seltsamen, heiser näselnden Stimme, »›ich habe mich im Namen geirrt. Auf dem ersten Platz ist nicht Meike Nooteboom aus der 2B, sondern Meike blablabla aus der 2E.‹ Er hat noch weitergelabert, er würde vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen bei den vielen Meikes auf der Schule, und dann hat er mir die Medaille wieder abgenommen.«
    Sie sprach immer schneller, als wolle sie es möglichst bald hinter sich haben. »Mäuseschwanz fährt so ’n Angebersportkabrio. Das hatte er hinterm Vereinsheim abgestellt. Die zwei Mädels von der Dusche und ich haben dann die Windschutzscheibe vollgerotzt. Die eine hat ihren Slip ausgezogen, wir hatten so lange Gothic-Kleider an, und ihn an den Rückspiegel gehängt. Ich hab meinen in den Auspuff gesteckt, bin in die Karre reingestiegen und hab mich unterm Lenkrad hingehockt. Als ich mit Pinkeln fertig war, kam Mäuseschwanz. Die beiden andern Mädels konnten noch weglaufen, aber mich hat er geschnappt, ich war barfuß, und überall lagen Steinchen. Er hat mich zu seiner Karre zurückgeschleift und immer gebrüllt: ›Was hast du mit meinem Lexus gemacht? Wenn du was mit meinem Lexus gemacht hast!‹ Da wusste er noch nicht, dass ich reingepinkelt hatte, aber das mit der Scheibe hat er sofort gesehn.«
    Sie schüttelte sich, obwohl ihr unmöglich kalt sein konnte.
    »Er hat meinen Kopf wie einen Schwamm über die Scheibe gezogen, immer wieder. Bis die anderen Lehrer kamen. Erst da hat er aufgehört.«
    Sie legte die Stirn auf die Unterarme. Ihr Gesicht war von Dreadlocks verdeckt. Gieles erinnerte sich, was er und Toon früher manchmal gemacht hatten, wenn sie mit dem Rad zurSchule fuhren. Sie hatten den Kopf gehoben und in die Luft gespuckt, und die Kunst bestand darin, so zu spucken und zu fahren, dass man nicht getroffen wurde. Einmal war Toons Rotze in Gieles’ Auge gelandet. Es hatte den ganzen Tag gebrannt, als würden die Enzyme den Augapfel zerfressen.
    »Und dann bist du vom Unterricht ausgeschlossen worden?«, fragte er. Sie schwieg. Er folgerte daraus, dass es so gewesen war. »Aber wieso haben sie den Mäuseschwanz nicht rausgeworfen? Wenn er dich doch belästigt hat.«
    Sie drehte den Kopf zu ihm hin und sagte laut: »Sie haben mir nicht geglaubt. Sie meinten, ich wär eine schlechte Verliererin und hätte mir die Sache ausgedacht. Als ich mit meinen Eltern und Mäuseschwanz beim Rektor saß, hat der scheinheilige Arsch zu ihnen gesagt: ›Warum sollte ich ausgerechnet eure Tochter unter der Dusche sehen wollen? Nennt mir nur einen einleuchtenden Grund.‹ Und alle haben mich angeglotzt, als ob ich die Schwester von Charles Manson wär, Scheiße noch mal! Dann haben sie sich gegenseitig angeschaut und blöd gegrinst.«
    Sie sprach jetzt sehr laut. »Meine Mutter hat doch echt mit Mäuseschwanz geflirtet! Diese Liliputanerin! Hat ihn fast mit den Augen ausgezogen! Wollte wohl …«
    »Sssst«, unterbrach Gieles sie. Nicht, dass sie gleich wieder anfing zu brüllen.
    Sie schnaubte wütend durch die Nase.
    »Super Waling hat früher mal vierzig Menschen aus einem Flugzeug gerettet«, sagte er, um sie abzulenken. »Die Maschine war auf das Land seiner Eltern gestürzt, und es gab dreißig Tote, und alle Zeitungen haben über ihn und seinen Vater berichtet. Er war damals erst vierzehn.«
    »Wow«, flüsterte sie. »Der Typ ist echt cool.«
    »Ja. Ultracool.«
    Gieles hätte gern ihre Wange gestreichelt und ihr ins Ohr geflüstert, dass sie das schönste Mädchen der Welt sei. Aber ertraute sich nicht. Morgen würde er einen Rekord an Vogelopfern aufstellen. Sie gähnte, er spürte warmen Atem auf seiner Haut. Ihr Atem roch angenehm süß. Gegen ihre Spucke im Gesicht hätte er nichts einzuwenden gehabt.
    Sie war so nah, dass er die Bewegungen ihrer Lider hören konnte. Er sperrte die Augen weit auf, um wach zu bleiben, aber der Schlaf überwältigte ihn.

25
    Ich mache endgültig Schluss mit meinem Brief. Es gibt viele Entwicklungen, und es findet sich nicht die Zeit für das Schreiben. Ich bringe Ihnen zuerst die schlechte Nachricht. Die große Gans wurde ermordet, wir vermuten, es war ein Mensch. Ihr Hals war umgewendet und die Flügel zerrissen. In meinem Hinterkopf weiß ich, wer der Täter ist. Mein Vater wird auf den Boden der Sache gehen. Er vermutet, es war der Postbote. Wie Sie wissen, wohnen wir neben der Flugzeugbahn. Überall hängen Kameras. Mein Vater will die Bänder untersuchen. Meike