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Gleitflug

Gleitflug

Titel: Gleitflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Gine Goemans
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zu Hause. Eilig löschte Liedje ihre Zigarette unter dem Wasserhahn und warf sie in den Abfalleimer.
    »Toon ist nicht da. Wie meistens. Aber setz dich doch. Ich hab dich so lang nicht gesehn.«
    Gieles wäre am liebsten sofort wieder gegangen, doch Liedje hatte schon den mintgrünen Kühlschrank geöffnet und eine Flasche Limonade herausgeholt. Er ließ seine Sportschuhe auf der Türmatte stehen und setzte sich. Seinen Rucksack mit zwei Kilo Gehacktem und Super Walings Lebensgeschichte stellte er auf den Boden. Hoffentlich roch Lady das Rachegehackte nicht. Aber sie blieb auch jetzt wie bewusstlos in ihrem Korb liegen.
    »Weißt du schon, dass Toon wieder sitzenbleibt?«, fragte Liedje mit kraftloser Stimme. Früher hatte sie in ihren glänzenden Sachen ausgesehen, als wäre sie von einer Art goldenem Hauch umgeben, aber jetzt wirkte alles an ihr gelblich und matt. So ähnlich stellte er sich die ausgemergelten Deicharbeiterinnen in Walings Geschichten vor.
    »Bald ist er genauso alt wie seine Lehrer. In seiner Klasse sind sonst nur viel Jüngere.« Sie reichte ihm ein Glas. »Du wirst natürlich versetzt.«
    Gieles nickte. Ihm war unbehaglich. »Aber nur gerade so«, log er, um sie zu trösten. Er kippte den Inhalt des Glases in sich hinein.
    »Ich wollte, er wär mehr mit dir zusammen. Er könnte Tischtennis oder Fußball spielen. Und was macht er?« Sie fragte Gieles, gab aber selbst die Antwort. »Kiffen. Der kifft mit seinen falschen Freunden, da bin ich mir tausendprozentig sicher. Dauernd redet er von diesem Flippertong. Flippertong! Die Eltern müssen ja Vollidioten sein. Jedenfalls, wenn er noch lang mit dem zusammen ist, kifft er sich noch um sein bisschen Grips. Rauchst du auch Gras?«
    Sie schien zu hoffen, dass er ja sagte. »Ziemlich oft«, schwindelte er.
    Aber sie hörte es nicht. »Nein, natürlich nicht. Du machst was aus deinem Leben … Toon wollte dich noch wegen dem Gänsepingpong anrufen. Er hat in der Zeitung davon gelesen. Er sagt, du bist der Gänseflüsterer. Ein Witz. Der Gänseflüsterer. Er meint, du sollst beim Straßenfest des Einzelhandelsverbands auftreten. Mit deiner Gans.«
    »Ah«, sagte Gieles. Er musste sich jetzt wirklich beeilen.
    »Natürlich kriegst du Geld dafür. Wenn doch der Mistbengel auch mal was Nützliches tun würde. Kiffen und Computerspiele, sonst macht der nichts. Und sich mit Fritten vollstopfen, das kann er auch.«
    Sie starrte aus dem Fenster und umfasste mit einer Hand ihren Hals, als wollte sie sich erwürgen.
    »Ich muss gehen …«
    »Und jetzt will er zur Armee. Soldat in einer Kampfeinheit werden. Kannst du dir das vorstellen? Toon Soldat? Der kann doch keinem ein Härchen krümmen. Unser Toontje. Eine Schnapsidee ist das.«
    Gieles konnte sich Toon sehr gut als Rambo vorstellen. Das Problem war, dass Toons Mutter ein anderes Bild von ihm hatte. Jemand hatte ein Kaninchen mit einer Schleuder totgeschossen? An der Schule Fenster eingeschmissen? Böller durch Briefkastenschlitze geworfen? Toontje konnte das unmöglich getan haben. Und falls doch, dann hatten andere ihn dazu angestiftet.Wenn Gieles ihr erzählen würde, wie Toon die Gans zugerichtet hatte, würde sie ihm nicht glauben.
    »Man braucht nicht mal einen Schulabschluss, wenn man zur Armee will. Sagt Toon. Ja logisch!«, meinte sie verächtlich. Sie kratzte sich den Kopf. Ihr Haar war dünn, man sah die Haut durchschimmern.
    »Ich sag zu ihm: ›Seit wann braucht man ’nen Abschluss, um sich abknallen zu lassen?‹ Und man muss nicht mal achtzehn sein. Nein, um wählen zu können, muss man erwachsen sein, aber abknallen lassen dürfen sich auch Kinder.«
    Sie schaute wieder aus dem Fenster. Drei Frauen und ein Mann radelten vorbei, der Mann fuhr ein Lastenrad mit einem großen Kasten, beladen mit Gartenwerkzeug. Eine der Frauen hatte sich einen Palästinenserschal um den Kopf gewunden. Normalerweise wäre Liedje aufgesprungen und hätte lautstark bissige Bemerkungen vom Stapel gelassen. Jetzt sagte sie nur müde: »Da sind wieder die blöden Hippies. Diese Spinner. Harken ihr lächerliches Gestrüpp. Und wozu? Da stehn ja doch bald Pyramiden.«
    Schwerfällig stand sie auf und fischte ein Päckchen Zigaretten aus einer Vase. Sie schien den Rauch bis zu den Zehen einzusaugen. Gieles bekam keine Gelegenheit zu gehen. Sie redete und redete. »Neulich sind zwei so arrogante Säcke vom Flughafen aufgetaucht. Haben’s nicht mal für nötig gehalten, ihre dreckigen Latschen abzuwischen. Ich sag dir

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