Gleitflug
was: Wenn die mein Haus plattmachen, müssen sie mich mit plattmachen. Ich lass mich hier nicht wegjagen. Im Leben nicht.«
Gieles sah einen Bulldozer vor sich, der die Hauswand eindrückte, während Liedje noch in der Küche rauchte. Er sah die alte Frau, die aus ihrer Hütte gezerrt wurde, bevor die Männer ihre Behausung zerstörten. Er hätte Liedje gern Super Walings Geschichte erzählt, aber vermutlich konnte sie damit nichts anfangen. Er stand auf.
»Toon ist nicht da.«
»Ich hab was in seinem Zimmer liegen lassen.«
»Diesen Dildo? Gehört der dir?« Sie war anscheinend nicht einmal schockiert. Im gleichen Ton hätte sie fragen können: Diese Schuhe? Gehören die dir?
»Nein, ein … äh … ein Buch.« Er war röter als rot.
»Toon und Bücher«, sagte sie und starrte vor sich hin. »Das ist so was wie Rauchen unter Wasser. Vergiss es.«
Er hatte seinen Rucksack aufgehoben, aber sie ging schon zum nächsten Thema über.
»Ich hab dich mit einem Mädchen gesehn. Sah aus wie eine kleine weiße Negerin. Mit Haaren wie Ruud Gullit. Als er noch Fußball gespielt hat.«
»Meike, meinen Sie.«
»Ist sie eine Verwandte von Dolly? Sie arbeitet doch bei ihr im Salon?«
»So was Ähnliches, ja.«
»Aber sie wohnt nicht bei ihr, oder? Dolly ist ja schon mit ihrer eigenen Brut überfordert. Diese Bengel, ständig außer Band und …« Sie schien nachzudenken. »Jedenfalls, was soll aus denen bloß werden? Wie geht’s eigentlich deiner Mutter?«
Das musste ja kommen .
»Gut. Sehr gut.«
»Wo steckt sie denn jetzt wieder?«
»Im Augenblick in einem Krankenhaus mit spanischen Ärzten.«
Diesen spanischen Arzt hat sie ja ziemlich oft erwähnt. Juan dies, Juan das …
»Ich muss heut Nachmittag auch ins Krankenhaus. Jeden Tag muss ich dahin. Wegen Bestrahlungen«, seufzte Liedje. »Gut, du findest ja Toons Zimmer.«
Aus ihrem Blick sprach so viel Einsamkeit, als wäre sie die letzte Überlebende auf der Welt. Er bekam davon Gänsehaut an den Armen.
Toons Zimmer lag an der Vorderseite des Hauses, zur Straße hin. Im Gegensatz zu Gieles’ Dachzimmer war es extrem ordentlich. Das Bett sah aus, als würde es nie benutzt. Neben dem Schrank waren sechs Paar Sportschuhe sauber aufgereiht, auf dem Wandbrett über dem Schreibtisch standen nach Größe geordnete Schulbücher. Über dem Bett hing ein Poster: eine junge Frau mit braunen Haaren, einem Tiger-BH, Netzstrumpfhose und Pobacken wie Galiamelonen. Sie drehte Gieles den Rücken zu und schaute ihn über ihre nackte Schulter hinweg herausfordernd an. RAVEN ALEXIS stand unter ihren hochhackigen Schuhen. DIGITAL PLAYGROUND.
Es war die Pornodarstellerin und Gamerin, von der Toon so gern redete. Gieles fand sie nicht umwerfend. Außer ihr hing nichts an den misshandelten Wänden. Aus Frust rammte Toon manchmal die Faust in eine Gipsbauplatte, oder er benutzte die Wandverkleidung als Dartscheibe für sein Taschenmesser. Toon senior reparierte sie dann mit Spachtelmasse.
Er musste sich beeilen. Er öffnete den Beutel mit dem Gehackten. In einer Zimmerecke hing ein roter Sandsack. Er zog den kleinen Reißverschluss an der Oberseite ein Stück auf, schob einen Klumpen Gehacktes in die Sägespäne und zog wieder zu. Hinter Raven Alexis schmierte er Gehacktes auf die Wand. Es blieb erstaunlich gut haften. Er grinste bei der Vorstellung, dass hinter ihren langen Beinen bald Maden hervorkriechen würden.
Ein Bällchen Gehacktes kam in eine Socke, die er im Schrank unter die anderen Socken schob. Eine kleinere Menge presste er durch den Schlitz des Sparschweins, auf dem METZGEREI KEIJZER stand. Jeweils ein Bällchen legte er auf den Schrank und unter die Matratze, ein weiteres versteckte er zwischen den Daunen des Kopfkissens. Einmal hatten Toon und er gebratene Frikadellen aus dem Fenster katapultiert. Toon hatte sie in der Metzgerei seines Vaters mitgehen lassen. Sie waren so hart, dasssie auf der Piste noch ein Stück weitersprangen. Er dachte an die Kekskugeln mit Gelee, die er bei seiner Genialen Rettungsaktion 3032 zur Piste schießen würde, und freute sich über seinen Einfall. Plötzlich hörte er Musik.
Elvis Presley. Diesen Song ließ sie sehr oft laufen, Elvis’ Lachen steckte sie an. Diesmal lachte sie nicht.
Er öffnete das DVD -Laufwerk von Toons Computer und schmierte eilig den Rest des rohen Fleisches in die Schublade wie auf eine Scheibe Brot. Seine erste Mission hatte er äußerst erfolgreich abgeschlossen.
Unten rief er in »Are you lonesome«
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