Gleitflug
auch schon, welche in Flammen aufgehen sollten: der Gelbkopf-Schwarzstärling und der Goldstirn-Blattvogel.
Er schaute auf das verblassende Passfoto seiner Mutter. Schon seit Jahren steckte sie in diesem schwarzen Rähmchen mit Saugnapf auf dem Armaturenbrett. Sie sah trauriger aus als je zuvor. »Wir könnten mal ein neues Foto von Mama in den Rahmen tun«, schlug er vor. »Dieses ist so alt.«
»Mach ruhig«, antwortete sein Vater und parkte den Dienstwagen in einer Nebenstraße nah beim Rathaus.
Die Informationsveranstaltung im Fokker-Saal habe schonangefangen, sagte ein Rathausangestellter. In den langen Fluren gingen sie an Sälen vorbei, die nach niederländischen Luftfahrtpionieren benannt waren. Albert Plesman, Frits Koolhoven, Marinus van Meel. »Koolhoven«, knurrte Willem, »das war ein NSB -Mann.«
Ein NSB -Mann war für seinen Vater so ungefähr das Schlimmste, was man sein konnte. Es hatte etwas mit Verrat in der Besatzungszeit zu tun, viel mehr wusste Gieles darüber nicht.
Sein Vater öffnete eine Tür, auf der ANTHONY FOKKER stand. Hunderte Augenpaare richteten sich auf sie und gleich darauf wieder auf den Redner. Sie nahmen seitlich vom Podium Platz, wo noch ein paar Stühle frei waren.
Gieles hatte eine gute Sicht auf das Publikum. In der ersten Reihe saßen Toon senior und Liedje. Sie trug eine weite, goldfarbene Bluse mit langen Ärmeln. Obwohl sie mindestens sieben Meter entfernt war, fiel ihm auf, dass sie reichlich Lidschatten aufgetragen hatte. Krank sah sie nicht aus, aber wütend. Sie presste die rosa gefärbten Lippen so fest aufeinander, dass der Mund an eine schrumplige Rosine erinnerte.
Toon senior grinste, er hatte die Beine übereinandergeschlagen und wippte mit dem linken Fuß. Seine nylonartige Frisur war tadellos gekämmt. Schräg hinter den beiden Keijzers entdeckte Gieles Dolly. Der Vibrator fiel ihm ein. Vor einer knappen Woche war es passiert. Wie oft sie das Ding wohl benutzte?
Er betrachtete sie noch einmal genauer. Sie saß kerzengerade und streckte das Kinn vor. Genau so sah sie aus, wenn sie die Jungs »zum ersten und letzten Mal« warnte. Es waren diese Augenblicke, in denen Gieles Angst vor ihr hatte. Auf das Vorstrecken des Kinns folgte die Explosion, dann rannte sie schreiend hinter den Kindern her, bis ihr Fuß oder ihre Hand sie traf. Vielleicht würde sie auch dem Mann auf dem Podium einen Tritt in den Hintern verpassen.
Er schaute in die anderen Gesichter und stellte fest, dass außer Toon senior und Willem alle im Publikum einen gereizten Eindruck machten. Die Menschen litten unter dem Fluglärm, und der Flughafen hatte schon allzu oft irgendwelche Pläne zur Lärmbekämpfung vorgestellt. Meistens konnte Gieles kaum glauben, dass Erwachsene so etwas wirklich ernst meinten. Am schrägsten hatte er den Vorschlag gefunden, eine Art schmales Zelt von ein paar Kilometern Länge zu errichten, das den Lärm aufsaugen sollte wie ein Strohhalm die Limo in einem Glas.
Und jetzt die Idee mit den lächerlichen Pyramiden, aber offenbar war keinem zum Lachen zumute. Gieles fragte sich, wie sich wohl der Typ am Mikrofon fühlte. Vor so vielen Leuten, die ihn am liebsten umgebracht hätten. Der Mann schien jedoch wenig davon zu merken, im Gegenteil, er strahlte nichts als Fröhlichkeit aus. Eine entertainerhafte Fröhlichkeit. Er hatte einen schwarzen Stoppelbart, der höchstens eine Woche alt war. Gieles betastete sein Babykinn.
Der Mann mit dem Wochenbart wanderte jetzt über das Podium, er schien laut nachzudenken.
Hinter ihm stand ein schmaler Tisch, an dem zwei weitere Männer und eine Frau saßen. Sie schauten nicht den Bärtigen an, sondern blätterten in Papieren und machten sich Notizen. Gieles kannte in seiner Umgebung niemanden, der so gekleidet war wie diese Männer: Jackett, Krawatte, Hose mit Bügelfalte. Sein Vater trug Jeans und eine Lederjacke, Onkel Fred meistens altmodische, aber unverwüstliche Pullover mit verschiedenfarbigen Streifen und Mustern.
Der Bartmann zauberte ein Bild auf eine große Leinwand. Eine Luftaufnahme der Start- und Landebahn. Ihr Haus war darauf eine Art Pickel, das Wäldchen im Exil ein Muttermal. Die Piste lag als Fremdkörper zwischen grünen und grauen Rechtecken. Das waren die letzten landwirtschaftlich genutzten Parzellen noch aus der Zeit von Ide und Sophia und dem versunkenen Pferd.
S ektion 27 .
Jetzt präsentierte der Bartmann ein neues Bild. Wieder die Piste, aber diesmal zwischen bunten Pyramiden und
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