Gleitflug
merkwürdigen Schläuchen und Hügeln, die Gieles schon von dem Brief an Toons Eltern kannte.
Ein Stimmengewirr im Saal.
»Nur über meine Leiche!«, bellte Liedje. »Nur über meine Leiche!«
Sie hatte die Arme verschränkt und die Schultern so weit hochgezogen, dass sie fast die Ohren berührten.
Der Bartmann schien nichts zu hören. Auf seinem Gesicht erschien sogar ein Lächeln. War er taub? Jedenfalls redete er einfach weiter.
»Die Pyramiden absorbieren den Lärm. Durch das Material und die geneigten Flächen wird der Schalldruckpegel in der Umgebung um mindestens sieben Dezibel reduziert. Sie müssen sich das so vorstellen«, er fuchtelte mit den Armen wie ein Polizist, der den Verkehr regelt, »dass die dreieckigen Flächen den Schall in unterschiedliche Richtungen lenken.«
Er sprach noch eine Weile über innovative Lösungen und niederfrequenten Schall und machte dabei ein Gesicht, als habe er all das selbst erforscht. Schon mehrere Zuhörer hatten die Hand gehoben. »Sie können gleich anschließend Fragen stellen«, sagte der Bartmann. »Nach der Pause. Dann können wir alles klären.«
Er setzte seinen Vortrag fort, bis ein Mann im Publikum aufstand.
»Glauben Sie eigentlich selbst, was Sie da erzählen?« Die Stimme hallte durch den Saal.
»Sie können nachher gern Ihre Fragen stellen. Nachher.«
Damit gab sich der Frager nicht zufrieden. »Ja, das kenne ich mittlerweile. Nachher bleiben dann gerade noch fünf Minuten für uns. Also, raus mit der Sprache: Glauben Sie wirklich selbst, was Sie uns da erzählen?«
»Wie meinen Sie das?«, fragte der Bartmann, aber es klang eher wie eine Zurechtweisung.
Der Zuhörer zeigte auf das Bild. »Ich meine diese Ansichtskarte aus Ägypten. Die Pyramiden. Die Gräber von Tutanchamun und so weiter.«
Das Publikum kicherte.
»Das ist eine computergenerierte Graphik«, korrigierte ihn der Bartmann, er sprach die Wörter übertrieben sorgfältig aus. »Was ich Ihnen hier präsentiere, ist keine Glaubensfrage. In dieses Projekt wurden Monate intensiver Forschung investiert. Mo-na-te. Wir präsentieren Ihnen Fakten, keine Fiktionen.«
»Jahaa!«, rief der Frager. »Das habt ihr auch gesagt, bevor die Piste gebaut wurde. Da wurde gesagt, es wäre wissenschaftlich gesichert, dass wir keinen Lärm abbekommen. Und was haben wir? Lärm!«
Der Bartmann zog ein Gesicht wie ein entnervter Lehrer. »Ich bitte Sie nochmals, mich meine Ausführungen …«
»Tag und Nacht dieses ständige Brummen im Leib.« Der Frager legte die Hand auf den Bauch. »Als hätte man lauter Fliegen verschluckt. So fühlt sich das an. Nur damit Sie das auch mal wissen.«
»Wir stützen uns auf harte Fakten …«
»Ach, fahren Sie doch zum Teufel mit Ihren Fakten. Vielleicht geht ja das wenigstens leiser.«
»Sie brauchen nicht unhöflich zu werden …«
»Ich hab nichts mehr zu sagen.« Der Frager machte vor seinem Mund eine Handbewegung, als würde er einen Schlüssel herumdrehen. Im Saal wurde boshaft gelacht. Die beiden Männer und die Frau am Tisch blätterten unbeirrt in ihren Papieren.
Der Bartmann setzte seinen Vortrag fort. Er klang verärgert, seine Fröhlichkeit war verschwunden. Phase eins, Phase zwei, Implementierung, Megahertz … Gieles’ Gedanken schweiften ab. Sein Blick glitt an einem Kunstwerk entlang. Ein Rohr ander Wand, mindestens vier Meter lang, durch das Luft geblasen wurde; es führte zur Decke des Anthony-Fokker-Saals, und dort hing ein großer Drachen in Form eines Flugzeugs, der im Luftstrom aus dem Rohr schaukelte. Gieles stellte sich vor, das Flugzeug würde im Saal landen und ihn nach Afrika mitnehmen. Dort holte er dann seine Mutter ab, damit sie nicht entführt wurde. Aber vorher würde er eine Zwischenlandung bei Meike machen und sie aus dem Bett zerren.
Eine Zeitlang blieb das Publikum jetzt ruhig. Bis der Bartmann von einem Wasserpark zu sprechen begann. Sechzig Hektar Land sollten geflutet werden, und in dem entstandenen See sollten schwimmende Pyramiden für weitere Lärmverminderung sorgen.
Dolly war aufgestanden. »Sehen Sie diese rote Pyramide?« Sie sprach sehr bestimmt und beherrscht, wie die Königin. »Die dritte von links?« Sie streckte den Zeigefinger mit rot lackiertem Nagel in Richtung Leinwand.
Der Bartmann drückte die Brust heraus, als bereite er sich auf eine harte Auseinandersetzung vor.
»Dort steht mein Haus. Ich wohne darin mit meinen drei Kindern. Sie sprechen hier in aller Gemütsruhe von Ihrem Wasserparadies, aber bei
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