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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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dort, wo der MacIain stand. Vermutlich täuschte sie sich. Aber der große Clanschief, der Unverwüstliche, sah nurmehr wie ein alter Mann aus, der betrogen worden war, der nichts verstand und gern geweint hätte.
    »Als dein Vater mir zwei Pelze stahl und sich aus dem Staub machte, habe ich dich behalten«, sprach der MacIain weiter. »Ich habe gedacht: ›Der Ben ist ein braver Junge, schwatzt nicht herum, sondern tut seine Arbeit. Warum soll ich ihn für seinenVater strafen?‹ Ich habe dich, den Sohn eines diebischen Cateran, als Knecht in meinen Haushalt geholt. Habe ich dich nicht behandelt wie ein Kind von meinem eigenen Volk?«
    »Das habt Ihr«, murmelte Ben. Gormal stand neben ihm, in derselben Weise, wie sie gestanden hatte, als Lochiel die Nachricht vom Tod ihres Mannes brachte. Das Gesicht aschfahl. Der Leib wie gefroren.
    »Du warst fast noch ein Kind, aber ein guter Knecht. Dir war nichts zu hart. In meinem schwärzesten Augenblick warst du zur Stelle, ein Bub von vierzehn, fünfzehn, doch mit mehr Schneid als ein Mann. Du hast dir das Gesicht zerhauen lassen und mein Kind gerettet, das macht viel mehr als einen Knecht aus dir, beinahe einen Bruder. Hast du das vergessen?«
    »Nein«, sagte Ben. »Nie.«
    »Auch wenn wir verschweigen mussten, was du getan hast, habe ich dich belohnt. Zu meinem Leibknecht habe ich dich erhoben und dir gesagt: ›Wenn du ein Mädchen gern hast, lass es mich wissen. Es findet sich ein Weg.‹ Du aber hast mich nichts wissen lassen, du warst die Natter in meinem Haus, die ich gefüttert und der ich den Kopf gestreichelt habe, bis die Natter sich entwunden und mir in die Hand gebissen hat. Dahin, wo’s wehtut, Ben. Dahin, wo’s nicht heilt.«
    Ceana wollte zu ihm laufen, wollte sein kleines Mädchen sein, das sich beim Tanzen an ihn schmiegte: Seid nicht traurig, Vater MacIain. Ihr habt doch mich. Dieses Mädchen aber konnte sie nie mehr sein, sie musste still neben Eiblin und John verharren, denn auch sie hatte den MacIain betrogen. Einen Augenblick lang hatte sie gehofft, er werde sie verstehen, doch wie sollte er dazu in der Lage sein? In seinen Augen raubte sie ihm den Sohn, wie Ben ihm die Tochter geraubt hatte.
    »Ben Ohnenamen«, erhob sich die Stimme des MacIain über den hellen, stillen Tag. »Ehe ich dein Urteil spreche, will ich nur eines von dir wissen. Nur ein Einziges für all das Gute, das zwischen uns gewesen ist: Warum?«
    Ben knetete die Mütze. Hielt die Menge den Atem an, weil jeder darauf brannte, was der Mann zu sagen hatte? Was er getan hatte, war abscheulich, hatte die härteste Strafe verdient, aber dies hier, das Gaffen und Geifern, hätte Ceana ihm und sich gern erspart. Weil nicht schön ist, dass wir so sind, dass wir denken: Dem Himmel sei Dank, es hat den andern erwischt und nicht mich. Sie dachte an Eiblin, die gesagt hatte, sie und Sandy Og gehörten aus dem Tal gepeitscht. Eiblin stand steif, mit vorgewölbten Schultern neben John, als friere sie. Wenn Sandy Og hier wäre, ginge er los und stellte sich neben Ben?
    »Warum?«, brüllte der MacIain noch einmal. »Sag mir nur das eine: Warum?«
    »Weil’s eben geschieht.« Nicht Ben, sondern Gormal gab Antwort. »Weil wir Weiber sind. Nicht mehr jung genug, um einen Mann abzubekommen, aber auch nicht alt und noch viel zu lange nicht tot.« Ceana musste daran denken, dass Gormals Name tiefblaues Auge bedeutete.
    »Weil’s eben geschieht«, wiederholte Gormal. »Die Tage sind lang und die Nächte kalt, und im Dunkeln kommt die Angst vor dem Krieg, vor dem Tod, davor, dass die Kinder missraten. Wenn dann ein Kerl da ist, der noch seine zwei Arme und Beine hat, der helle Augen hat und manchmal lacht, der nicht tot und zerfleischt ist, dann geschieht es eben. Dazu braucht’s keinen Willen und keine Tücke, nur einen Kerl, der auch einsam ist und allein mit einer Frau im Haus.«
    Sie wird nie wieder etwas sagen, durchfuhr es Ceana, als Gormal die Lippen schloss. Sie streckte nicht die Hand aus, um Ben zu berühren, und Ben streckte auch nicht die Hand aus, um Gormal zu berühren. Jemand schluchzte, aber Ceana wagte nicht, sich umzusehen und nach einem Weinenden zu suchen. Lady Morag, die neben ihrem Mann stand und hörte, wie ihre Tochter vor dem gesamten Tal ihre Schande bekannte, verzog keine Miene. Der MacIain schwankte und schnappte nach Worten, seine Lady aber war wie in den Fels gehauen.
    »Ben Ohnenamen«, brachte der MacIain mit rauer Stimme heraus. »Dem Gesetz nach musst du für dein

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