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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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nicht tot. Was immer mit Sandy Og ist, er ist nicht tot.
    »Du verschlimmerst seine Lage, hörst du nicht?« Lochielhing noch immer mit seinem ganzen Gewicht an den Armen des MacIain. »Lass mich mit Hill sprechen, lass mich die Sache in die Hand nehmen. Ich bin sicher, der Staatsrat wird in London nachfragen müssen, was mit den Männern zu geschehen hat. Ich werde selbst eine Bittschrift senden, nicht an den Willie – der steht ohnehin noch in Flandern –, sondern an Mary von Oranien, die immerhin als eine Stuart geboren ist.«
    Der MacIain zerrte weiter, aber Ceana sah, dass ihm die Muskeln erschlafften, dass er langsam den Kopf drehte. »Ewen«, sagte er zu Lochiel, der ihn keuchend festhielt. »Ich ertrage nicht, dass sie Sandy Og ein Leid antun.«
    »Aber Sandy Og erträgt es«, versetzte Lochiel kühl. »Dieser feine Bursche hat viel mehr Mark in den Knochen, als du ihm je zugetraut hast, der hält das durch. Jetzt komm du zu Verstand, und setz sein Leben nicht aufs Spiel.«
    Der MacIain hörte so abrupt auf zu zerren, dass Lochiel hintüberstrauchelte. Gleich darauf stand er jedoch wieder auf den Beinen, öffnete die Arme und fing seinen Freund darin auf.

    Kleine rote Lerche im schwarzen Moor,
    Wo war dein Nest
    Letzte Nacht?
    Letzte Nacht war mein Nest
    In den Meereswellen
    Und, ach, mein Schlaf ohne Ruh.
    In seinem eigenen Haus gab es Ritzen und Fugen, immer schimmerte irgendwo Licht durch, vom Mond oder von den Feuern am Fluss. Sandy Og war kein reicher Mann, aber er hatte für sich und Sarah ein helles Haus gebaut und ihr eine Kerze für die Nacht gegeben. Wenn wir ein Kind haben, Sarah, soll’s in der Nacht nie dunkel sein , hatte er ihr und sich selbst versprochen.
    In seinem Elternhaus, in seiner Kinderkammer, war es dunkel gewesen wie hier. Wenn er die Augen schloss, war ihm, als tauche er in völliges Schwarz und bekäme keine Luft mehr, seine Brust werde zusammengepresst und sein Mund liefe voll Wasser. Wenn er die Augen wieder aufriss, war das Schwarz noch immer da, und dann schrie er, bis Gormal sich zu ihm hinüberbeugte und ihm den Mund zuhielt.
    »Ich muss sterben, Gormal. Wenn ich kein Licht und keine Luft hab, muss ich sterben.«
    »Nein, Dummkopf, du musst nicht sterben. Jetzt sei still, sonst weckst du die Mutter, und dann setzt’s was zum Sterben auf den Hintern.« Sie hatte sich noch näher zu ihm gebeugt und flüsternd in sein Ohr gesungen:
    Letzte Nacht war mein Nest
    In den Meereswellen
    Und ach, mein Schlaf ohne Ruh.
    »Gormal«, hatte er gesagt, »in den Meereswellen muss die Lerche doch sterben.«
    »Hörst du jetzt auf, du Plagegeist?«, hatte sie im Flüsterton geschimpft, dann aber seufzend nachgegeben und ihm die letzte Strophe des Liedes gesungen:
    Kleine rote Lerche mit den goldenen Flügeln,
    Wo war dein Nest
    Letzte Nacht?
    Letzte Nacht war mein Nest
    Zwischen grünen Blättern
    Und, ach, mein Schlaf voll Frieden.
    In seinem Gefängnis war es dunkel wie in der Kammer in Carnoch, noch dunkler. Er wusste nicht, ob Tag oder Nacht war. Kannst du nicht kommen, Gormal, und mir noch einmal ein Wiegenlied singen? Kannst du mir nicht noch einmal ins Ohr schimpfen, dass ich nicht wie der arme Schecke sterben muss? Das Ohr tat ihm weh, denn der Gefreite hatte ihm den Musketenlauf darübergeschlagen, als Rob Glenlyon den Schecken erschossen hatte. Und weil Sandy Og zu dumm gewesen war, sich gleich fallen zu lassen, hatte er ihn noch einmal geschlagen, auf dasselbe Ohr. Jetzt waren ein Stechen und ein pfeifender Ton darin. Hätte seine Schwester ihm ihr Lied eingeflüstert, hätte er es nicht hören können.
    Die anderen waren in Gruppen durch zwei Türen getrieben worden, nur ihn hatte man allein in einen leeren Raum gesperrt. Die Nähe der feuchten Wände ließ sich spüren, so winzig war die Kammer. Er konnte die Hände nicht danach strecken, auch nicht sich das schmerzende Ohr aufbiegen, weil seine Handgelenke in eiserne Manschetten geschlossen und zusammengekettet waren. Die Fußgelenke ebenso. Geradezu albern, fand Sandy Og, einen unbewaffneten Mann mit solchem Aufwand zu fesseln. Seine Beine allerdings fanden die Fesselung nicht albern. Die Knie schienen ihm aufs Dreifache geschwollen und schmerzten, als wüte in ihnen ein Wundbrand.
    Dunkel, Kälte, Schmerz, Durst, der die Zunge dick machte. Erschöpfung, Taubheit in den Gliedern. Todesangst. Manchmal Hunger. Dazu der erbärmliche Drang, zu weinen und sich zu bejammern, und der noch stärkere Drang, die Blase zu leeren,

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