Glencoe - Historischer Roman
ihre eiskalte Hand, spürte kaum die Hitze der Kinderfinger. Nach Glasgow an den Galgen, hörte sie den Nachhall der Worte. Aber Sandy Og ist so schwer und zappelig. Reißt nicht der Strick entzwei? »Ich möcht’s nicht«, murmelte sie und konnte nicht fassen, dass sie etwas so Lachhaftes gesagt hatte. »Kann nicht der Onkel etwas tun?«
»Der Onkel?« Helen verzog das zuckende Gesicht. »Was glaubst du, was für ein großes Licht dein Onkel ist? Eine Gliederpuppe ist der, die sie auf ihren Märkten tanzen lassen – und der Hanswurst weiß nicht einmal, wer an den Fäden zieht. Im besten Fall könnte er erwirken, dass dein Mann reichlicher zu essen und von den Wachen keine Schläge bekommt.«
»Bitte!« Wie kann denn einer dir wehtun, Sandy Og? Wie kann denn einer dich hungern lassen und ins Dunkel sperren, und ich bin hier und wusste nichts davon? »Ich bitt Euch, kann der Onkel dafür sorgen, dass Sandy Og eine Kerze hat?«
Die Tante wiegte den Kopf und sah zugleich unverwandt Sarah an, als frage sie sich, ob die noch bei Trost sei. »Ich will offen zu dir sein«, sagte sie endlich. »Ich bezweifle, dass dein Onkel für deinen Mann auch nur einen Finger krümmt, denn er ist ihm, wie du dir denken magst, nicht grün. Und ein Kerl wie Robert, der so tief erniedrigt ist, schlägt zu, sobald ihm ein Schwächerer in die Hände fällt. Wenn’s eine wissen muss, dann ich. Außerdem ist die Nachricht drei Tage alt, und wenn der arme Teufel noch lebt, ist er längst auf dem Weg nach Glasgow.«
Dann will ich auch nach Glasgow. Sie griff Jeans Hand fester. Ich bin deine Frau. Ich muss bei dir sein, wenn du stirbst. Ihr wurde noch kälter, sie bekam kaum Luft. Stirb nicht ohne mich.Lass es mich wissen, wenn du sterben musst, in dieser drückenden Nacht.
»Dich verstehe, wer will. Du wolltest den Mann doch los sein, jetzt bist du ihn los, bekommst ihn im Leben nicht mehr zu Gesicht.«
»Ich lass ihn nicht sterben!« Sarah schrie. Ein anderes Kind hätte angefangen zu heulen, aber Jean saß still da und sah ihrer Mutter zu, wie Duncan einem Käfer oder einem Falter zugesehen hätte.
»Wirst ihn wohl sterben lassen müssen. Mit einem, der den Waffenstillstand bricht, machen die nicht lang Federlesens.«
»Ich geh nach Glasgow. Ich spreche mit ihnen.« Mit wem nur? Sarah hatte sich so sehr bemüht, die Welt hinter Glencoes Bergen zu verstehen, jetzt jedoch kam ihr das anmaßend und töricht vor. Hier stand sie und wusste nicht einmal, bei wem sie um das Leben ihres Mannes betteln musste.
Die Tante lachte verhalten. »Und du meinst, die haben darauf gewartet, dass eine wie du kommt und mit ihnen spricht? Wird die Welt neuerdings von Weibern gemacht?«
»Ich kann es ihnen erklären!« Dass Sandy Og einen Zorn in sich hat, der von der Angst kommt, kann ich erklären. Dass er vor dem Töten am meisten Angst hat und lieber Würste zum Platzen bringt, als einem Menschen ein Haar zu krümmen. Dass er ein gänzlich untauglicher Rebell ist, einer, der seiner Tochter beim Wurstkochen zusehen will und sonst nichts. Nur dass er eben auch der Sohn des MacIain ist und sich nach dem Lob seines Vaters sehnt wie der schneebedeckte Boden nach Sonne. Weiß einer von euch, wie es ist, ein Kind des MacIain zu sein, hat die Sonne Kinder? Sie sind ja alle nicht anders – Gormal, John, Ceana –, nur geschickter als Sandy Og, der auf zwei linken Füßen durchs Dunkel tappt.
»Was immer du zu erklären hast, Schätzchen, sie ließen dich doch nicht einmal vor. Und in Glasgow wärst du obendrein am falschen Ort. Dorthin bringen sie nur deinen Galgenvogel. Was mit ihm geschieht, beschließt der Staatsrat in Edinburgh.«
»Dann geh ich nach Edinburgh.«
»Aber ja doch, und hernach gehst du übers Meer nach Flandern und flehst William von Oranien im Feld an, er soll dir einen Toten erwecken, den du im Leben zum Teufel jagen wolltest.«
Jedes Wort versetzte Sarah Stiche. Sie wollte nach ihrem Tuch hangeln, als die Hand ihrer Tochter sie zurückzog. Bis auf den Kerzenschein war es im Raum inzwischen völlig dunkel. Was immer ihr zu tun blieb, würde bis morgen warten müssen. Auch würde sie Hilfe brauchen, da sie zu Fuß nie und nimmer nach Edinburgh käme. Sie musste die schwarze Nacht tatenlos ertragen, ehe sie wenigstens kämpfen durfte.
»Ich leg mich dann schlafen«, sagte die Tante. »Wenn du verrückt genug bist, dir auf einer sinnlosen Reise den Tod einzufangen, soll’s mir recht sein, andernfalls hör ich mich morgen nach einem
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