Glencoe - Historischer Roman
nicht in Worte fasste.
Rob Glenlyon kam regelmäßig, hielt jedoch Wort. Er sah nach ihm, riss Witze, schob Stoff beiseite und betrachtete eingehend die Blessuren, zupfte ihn wohl auch am Haar, hieb ihm übers Ohr und sprach vom Tod, war aber nie grob.
Eines Morgens schlugen die Männer ihn nicht, sondern wuschen ihm mit Schwämmen den Dreck vom Körper, schoren ihm den Bart, nahmen ihm die Ketten ab und führten ihn dann an Stricken in den Hof. Dort standen Sandy Ogs Kameraden, der junge Robert und die anderen, mit je einem Schritt Abstand zueinander aufgereiht. Das weiße Licht blendete Sandy Og, und die Sonne, nach der seine Haut sich gesehnt hatte, wärmte nicht, sondern brannte. Von seinen Wächtern gezerrt, stolperte er bis ans Ende der Reihe.
Wind fuhr nadelspitz in sein Ohr, in dem der pfeifende Ton niemals Ruhe gab. Es fiel Sandy Og schwer, sich auf den Beinen zu halten, er schwankte von einer Seite zur anderen, ebenso die Konturen um ihn, die Flächen und Farben.
Colonel Hill, den sein Vater des Sassenachs freundliche Tante nannte, schritt die Reihen ab und fragte jeden, ob es ihm wohl erginge, ob er genug zu essen bekäme und ordentlich behandelt würde. Sandy Og erfasste Angst: Er würde nicht sprechen können oder aus dem Mund bluten; er würde etwas tun, das nicht auszudenken war. Als Hill schließlich vor ihm stand, nickte er auf alle drei Fragen.
»Ihr seid Alasdair Og, der Sohn des MacIain von Glencoe, nicht wahr?«
Es war verblüffend tröstlich, ihn das sagen zu hören. Wenn einer noch meinen Namen kennt, ist dann noch etwas von mir da?
»Ihr bräuchtet nicht so maulfaul zu sein«, sagte der kleine Mann wohlwollend. »Wir wollen Euch nichts Böses.«
»Ich weiß«, sagte Sandy Og, aber er behielt recht. Seine Schultern zuckten, und aus seiner Kehle drang nicht mehr als ein Wispern.
Das Kind war zu groß, um in den Schlaf gewiegt zu werden. Aber Sarah konnte selbst nicht schlafen.
Helen, die Tante, war zum Abendessen nicht erschienen, und Margaret, ihre ledige Tochter, hatte Sarah mürrisch wissen lassen, ihre Mutter werde später speisen, da sie noch mit dem Boten von der Schwarzen Garnison spreche. Zwei Tage zuvor hatte die Tante zu Sarah gesagt: »Wenn der Mann von der Garnison kommt, der mir mein bisschen Geld bringt, schreibe ich an deinen Onkel, dass du hier bist und dass wir mit den Krumen nicht mehr auskommen.«
Sarah fand, sie kamen gut aus. Sie hungerten nicht. Die fade Suppe, das Brot, ihr schmeckte alles gleich. Im Haus gab es leere Kammern genug, sodass sie einfach eine davon für sich und Jean beanspruchen konnte, ein Loch im Seitentrakt, mit einem winzigen Fenster. Das Gemäuer ließ keine Sonnenwärme ein, war elend beheizt und düster, drinnen herrschte November, nicht August, doch auch das war Sarah recht. Sie sammelte aus den Räumen fadenscheinige Decken zusammen und bereitete auf der Bettstatt eine Höhle. Darin hockte sie zumeist, während das Kind auf seinen stämmigen Beinchen durch alle Gänge trappelte. Abends kroch es zu ihr in die Decken. Wenn Jean wie heute verlangte, gewiegt zu werden, setzteSarah sich auf und schaukelte das schwere, gesunde Körperchen auf den Armen.
»Sing mir.«
Woher hatte sie das? Sie lernte jetzt täglich neue Wörter. Wie konnte ein Kind von zweien, die nie den Mund aufbekamen, so gesprächig sein? Sarahs Zähne klapperten. Sie zog die Decken, die ständig hinunterrutschten, wieder über die Schultern. »Ich kann doch nicht singen.«
Erzürnt furchte Jean die kleinen dichten Brauen. »Sing mir.«
Wie soll ich denn, Kind? Weißt du nicht, dass ein Stein in meiner Kehle steckt? Schlief der Bote auf Chesthill oder ritt er durch die Nacht zurück zur Schwarzen Garnison? Würde schon morgen der Onkel erfahren, dass sie ihren Mann verlassen hatte? Würde es von morgen an ganz Lochaber erfahren? Du hast mich verraten, Sandy Og, jetzt verrate ich dich . Was sich wie Genugtuung anfühlen sollte, verstopfte ihr die Kehle.
»Sing mir, sing mir!«
Sarah wiegte sich und versuchte, das Kind und sich selbst zu beruhigen, als die Tür aufsprang. »Leg die Kleine schlafen«, sagte Helen. »Ich hab mit dir zu reden.«
»Sie lässt sich nicht legen. Ihr könnt mit mir sprechen, derweil ich sie wiege.«
Argwöhnisch warf Helen einen Blick auf Jean, stellte dann aber die Kerze auf den Nachtkasten und setzte sich auf den Schemel. »Warum hast du deinen Mann verlassen?«, fragte sie. »Wirklich weil du eine Campbell bist, weil du nicht nach Glencoe
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