Glencoe - Historischer Roman
Mann für dich um.«
Ich hab ja einen. Und wenn er stirbt und wenn Ceana ihn mir stiehlt, ich geb ihn nicht her. Die Tante ging und nahm die Kerze mit. Im Stockdunkeln, mit vor Kälte starren Gliedern tastete sich Sarah zurück in ihre Decken. Flugs krabbelte Jean ihr auf die Schenkel, hieb ihr die kleine Faust vor die Brust und flötete mit ihrem süßen, wütenden Stimmchen: »Sing mir, sing mir.«
Wie soll ich denn singen, Kind? Merkst du nicht, dass ich ersticke? Sie drückte die Tochter so fest an sich, dass die zu zappeln begann, und wiegte sich mit ihr. Mit ganz verhaltener Stimme, Ton um Ton ertastend, begann sie:
Colins Rinder,
Meinem Herzen so lieb,
Colins Rinder,
Die geben Milch in der Heide.
Sie brach ab. Sie hatte nie gewagt, das Lied mit den anderen zu singen, weil es Glencoes Lied war, nicht ihres, und jetzt gehörtees ihr und war doch falsch. »Das geht nicht«, sagte sie. »Ich kann das nicht singen. Es ist das Lied vom Lieben und Sterben, und dein Vater ist noch nicht tot.«
»Sing mir.«
»Ich kann nicht, hörst du?« Sie merkte, wie viel Mut es sie kostete, weiterzudenken, daran zu denken, was sie zu tun hätte, wenn Sandy Og gestorben wäre. Ich liebe dich, dachte sie. Sie hatte das nie gedacht, dabei dachte es sich ohne Schwierigkeiten. Ich liebe dich. Ich besorge einen Karren und reise nach Edinburgh, ich will darum kämpfen, dass du lebst. Wenn du aber stirbst, will ich für dich tun, was richtig ist.
»Das Lied gehört hier nicht her«, sagte sie zu Jean. »Wenn dein Vater tot ist, müssen wir nach Glencoe zurück, ob sie uns mit Steinen bewerfen oder nicht. Wir müssen in die Berge gehen und das Lied für ihn singen.«
Da sie fühlte, dass der kleine Leib in ihren Armen schlaff wurde, zog sie rasch eine Decke über das kalt geschwitzte Hemd und sang ein Wiegenlied, auf das sie sich dunkel besann. Kleine rote Lerche mit den goldenen Flügeln . Dann wusste sie den Text nicht weiter und summte, bis Jean eingeschlafen war.
Behutsam ließ Sarah sie auf die Bettstatt gleiten und wickelte sie ein. Es fiel ihr schwer, das Kind loszulassen, aber Sarah musste allein sein, allein mit ihrem Mann. Sie schlang die Arme um sich und hätte gern eine Kerze gehabt, doch womöglich war es gut, das Dunkel auszuhalten. Ein Reicher, Sandy Og. Weißt du das noch? »Das muss ein Reicher sein, der so viele Kerzen hat.« Als du mich nach Glencoe brachtest, hast du mich reich gemacht, und ich wünschte, du müsstest nicht allein sein, wenn der Tod dich holt.
Wir hatten beide so viel Angst vor dem Tod. Als ich ein Kind war, schlief ich neben meiner Mutter, und einmal wachte ich auf und sie war tot; deshalb schlafe ich nachts, wenn der Tod um die Häuser streicht, noch immer nicht gern ein. Nachdem ich dir das erzählt hatte, wollte ich dich fragen: »Sandy Og, warum hast du so vielAngst vor dem Tod wie ich, neben wem bist du erwacht und er war tot?«
Wenn du jetzt sterben musst, will ich, dass es schnell geht. Dass niemand dir Schmerz zufügt, niemand dich kränkt, vor allem niemand dir einen Schrecken einjagt, indem er aus dem Dunkel nach dir greift. Dass du dich nicht schämst, will ich. Du bist mir ein redlicher Mann gewesen, und du hast mir nicht wehtun wollen. Ich weiß das, und ich will, dass du es auch weißt.
Als ich vom Haus der Mutter weg und zur Großmutter kam, dachte ich: »Wenn die Großmutter stirbt, erinnert sich keiner mehr daran, dass ich Sarah bin.« Du hast zu mir dauernd Sarah gesagt, immerzu. Manchmal musste ich lachen, und manchmal hast du mich zur Raserei gebracht. Jetzt versprech ich dir, Sandy Og: Ich sag den Bergen deinen Namen.
Whitehall, September 1691
Mary war nicht wie geplant nach Kensington gegangen, sondern hatte ihren Hofstaat nach Whitehall geführt. Es war ein weiterer Ort, den sie hasste, womöglich derjenige, den sie von allem am meisten hasste, und um ihr Unbehagen noch zu steigern, hatte es im Frühjahr dort gebrannt, acht Stunden lang hatten die Flammen gewütet und zahlreiche Wohnräume von Höflingen zerstört. Damals hatte Mary sich gelobt, diesen Hort des Unglücks nie wieder zu betreten, sondern den Winter gänzlich in Kensington zu verbringen, das zumindest das kleinste vieler großer Übel war.
Burnet hatte ihr versichert, dass der Brand durch das Ungeschick einer Magd mit einer Kerze entstanden war, inzwischen jedoch hegte Mary daran Zweifel. Letzthin erhielt nämlich beständig die Befürchtung Nahrung, man trachte ihr nach dem Leben. Ihr, Mary, die
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