Glencoe - Historischer Roman

für sich selbst nicht das Geringste verlangte, sondern sich für das Wohl ihres Volkes aufrieb! Bei einer Fahrt durch den Park um Whitehall, die vornehmlich dazu diente, Untertanen einen Blick auf ihre Königin zu gewähren, und Mary beileibe kein Vergnügen schenkte, hatte ein Mann sich sogar geweigert, sich zu ihrer Begrüßung zu verbeugen. Stattdessen hatte er vor dem geöffneten Fenster des Wagens seinen Hut geschwenkt, der Mary mitten ins Gesicht schlug. In aller Eile musste sie zu ihrem Arzt getragen werden und lag mit Krämpfen im Magen tagelang krank.
    Bei dem Angreifer, der sie leicht hätte töten können, handelte es sich laut Burnet um einen englischen Jacobiten, und das brach Mary das Herz. Wagten diese fühllosen Menschen wahrhaftig, sie für die Zustände zu bestrafen, die ihr Vater, ihr Onkel und auch ihr Gatteihr hinterlassen hatten? Ihr wollte man Böses, ihr, die sich Tag und Nacht um die schottische Frage sorgte und jedem Jacobiten Vergebung anbot? Wie so häufig ließ man Mary die Frevel anderer büßen, während man Anne in Schutz nahm, die sich um nichts scherte. An manchen Tagen hielt Mary es gar für möglich, dass Anne ihre Hand in den Komplotten hatte, wenn auch wohl nicht, um ihr das Leben zu rauben, sondern um sie zu zermürben und auf diese Weise rascher an die Krone für ihren schwächlichen Sohn zu gelangen. Der hatte jüngst von Neuem auf den Tod gelegen, und Mary hatte seinem Arzt zu seiner Genesung ein Geschenk über tausend Guineen gemacht. Hatte Anne sich vielleicht dafür bedankt?
    Dass Mary all der Unbill zum Trotz nach Whitehall übersiedelte, rührte daher, dass sie sich ihr Werk nicht zerstören lassen mochte. Es wäre ihren Gegnern, zu denen sogar Burnet gehörte, nur allzu recht, sie weitab vom Geschehen in Kensington zu wissen und ihr die Zügel aus der Hand zu nehmen. In diesen Tagen spürte sie in ihrem Innern etwas brodeln, von dem sie gelernt hatte, dass es Damen nicht stand, dass man es schluckte und Süßes nachstopfte, bis es sich nicht länger rührte. Zorn.
    Der Zorn regte sich, als sie von jenen geheimen Artikeln erfuhr, die der Graf von Breadalbane mit den Clanchiefs ausgehandelt haben sollte. Auf den Gängen und bei Banketten wurde darüber geflüstert, doch sobald Mary hinzutrat, breitete sich Schweigen aus. Als sie Burnet auf den Kopf zusagte, dass er von solchen Artikeln Kenntnis hatte, log er ihr ins Gesicht. Er wisse nichts, behauptete er, werde aber die Staatssekretäre befragen, sobald diese abkömmlich seien. Dabei wusste Burnet selbstredend, dass Staatssekretär Melville eine saftlose Strohpuppe war, während Staatssekretär Dalrymple zu jenen gehörte, die es nicht für nötig hielten, ihre Königin zu unterrichten. Zudem weilte er bei William in Flandern.
    Der Zorn, der in Mary brodelte, wurde zur Flamme. Sie fühlte sich betrogen, von Burnet, von dem schmierigen Briefschreiber Breadalbane, doch am meisten von denen, die sie in Schutz genommen hatte, von den Schotten im Hochland. Von ihrem Volk.
    Als Nächstes teilte Burnet ihr mit, ihr Gatte kehre zur Eröffnung des Parlaments im Oktober zurück. Um die schottische Frage, die ihr gewiss das Leben vergälle, brauche sie sich nicht mehr zu sorgen, der König habe erkannt, dass diese Angelegenheiten sich zu verworren und zu hässlich entwickelt hätten, um sie seiner Frau noch zuzumuten. Drei Tage später, während derer sie an unentwegtem Sodbrennen litt, bestach Mary zum ersten Mal in ihrem Leben einen Höfling und erfuhr von einer Proklamation, die auf dem Mercat Cross in Edinburgh und auf öffentlichen Plätzen im gesamten Königreich ausgehängt werden sollte. Darin wurde von allen Männern, die ihre Waffen gegen König William und Königin Mary erhoben hatten, ein Eid der Treue gefordert. Dieser war bis zum ersten Tag des neuen Jahres vor den Sheriffs der Bezirke zu leisten, und wer ihn über diesen Tag schuldig blieb, hatte für sich und die Seinen mit Strafen von äußerster Härte zu rechnen.
    Marys Zorn gewann die Überhand. Sie machte sich nicht die Mühe, einen Pagen zu schicken, sondern stürmte über die Gänge und stellte Burnet in seinem Privatgemach zur Rede. »Wir haben mit den Rebellen im Hochland ein Abkommen!«, schrie sie ihn an. »Wie könnt Ihr in meinem Namen brechen, was wir darin zugesichert haben?«
    »Nun«, wand sich Burnet, »was jenes Abkommen betrifft, so gab es ja von Anbeginn an die Schwierigkeit der geheimen Artikel.«
    »Habt nicht Ihr mir beteuert, von solchen