Glencoe - Historischer Roman
Hälften des Volks von Glencoe vor Lachen, die Frauen unten und die Männer oben, dazwischen Sandy Og, der zwei Schritte weit den Hang hinabgestolpert war. Ein anderer hätte mit einer bissigen Bemerkung gekontert, Mairi in die Schranken gewiesen oder den geohrfeigten Stolz auf andere Weise gerächt. Aber Sandy Og fehlten dazu das Geschick und die schützende Hornhaut. Ceana sah ihm ins solchermaßen ungedeckte Gesicht und hörte, wie Eiblin ihrer Nachbarin ein Wort zuzischte: »Schlappschwanz.«
Wo so offensichtlich war, dass er sich vor Scham nicht rühren konnte, würde jemand einschreiten müssen, um Sandy Og von dem Hang wegzuholen. Es war der MacIain, der seinen Sohn schließlich erlöste. Von irgendwoher hatte er einen Becher, den er nun so schwungvoll hob, dass Ceana den Wein darin aufschwappen sah. »Ein Hoch auf Bonnie Dundee!«, brüllte er, »Auf diesen Himmelhund von einem Feldherrn! Solange deruns leitet, steckt sich kein Sassenach und kein winziger Willie unsere Berge in den Sack. Ein Hoch auf unser Land und auf Jamie Stuart, seinen König!«
»Bonnie Dundee!«, ertönte hundertfach sein Echo. »Jamie Stuart!« Becher wurden gehoben, Frauen mit Krügen eilten den Hang hinauf, um nachzuschenken, und Männer, die es nicht abwarten konnten, stürmten ihnen entgegen. Ceana sah Sandy Ogs Schopf, verfolgte, wie er sich zur Seite bewegte und aus den tanzenden Köpfen heraustauchte. Wohl sicher, dass niemand mehr auf ihn achtete, schlich er sich nach unten. Dort blieb er vor dem Kind stehen, das in sein Plaid gewickelt schlief, und blickte lange auf es hinab. Neben dem Jungen kniete, den Oberkörper wiegend, der uralte Säufer.
»Du musst heimgehen, Calum«, sagte Sandy Og. »Es wird kalt.«
Er winkte Ben heran, den Knecht seines Vaters, einen riesigen Kerl, der stumm war, dem eine Narbe das halbe Gesicht entstellte und der Sandy Og sonst aus dem Weg ging. Ehe Ben ihm auch jetzt entwischte, hieß Sandy Og ihn den Uralten stützen und hob selbst das Kind vom Boden. Das Köpfchen fiel an seine Brust und das gesunde Bein schlenkerte über seinem Arm. So trug Sandy Og den Jungen nach Hause. Wind bauschte sein Hemd und raufte sein Haar.
Robert Glenlyon sattelte vor dem Morgengrauen sein Pferd. Es war eine Schande, dass er es selbst tun musste, denn als Laird des Tales hätte ihm ein Reitknecht zugestanden. Eine noch größere Schande war, dass ein Mann in seiner Stellung zu einer solchen Stunde aus dem Schlaf schreckte, den Magen wie zur Faust geballt, den Kopf voll zerfetzter Träume und im Mund statt der Zunge ein verrecktes Pelztier. Rob hob schwankend den Fuß in den Steigbügel und hievte seinen Leib auf das Pferd.Beim Schenkeldruck durchrieselten ihn Schauer. Auch wenn bereits Mai war, kannte der Augenblick vor dem Morgengrauen keine Wärme.
Als der Goldfuchs in den Hof trabte, warf Rob einen Blick zurück. Er hatte sich nicht getäuscht: Helen stand am Fenster, um darüber zu wachen, dass er sein Versprechen hielt. Wut und Ohnmacht packten ihn. Am liebsten wäre er abgesprungen, zurück in sein Haus gelaufen und hätte etwas getan, das sich nicht aussprechen ließ. Aber Chesthill, ein Bau wie ein Klotz, der sich nun aus dem Dunkel schälte, war nicht einmal sein Haus. Rob schob die Hand unter den Rockaufschlag und strich wehmütig über den feinen Hemdstoff. Er hatte empfindliche Haut, weiß und zart wie Milchglas, und durfte nur die edelsten Stoffe tragen, wollte er diese Haut nicht reizen. Jetzt aber gehörte ihm auch das Hemd nicht mehr, und seine Haut, die einst schlanke Mädchenfinger liebkost hatten, würde er heute zu Markte tragen.
Rasch wandte er sich ab und ritt durchs Tor. Von den Pfeilern bröckelte Putz. Rob hasste die schäbige Enge und den Kleingeist von Chesthill. Er hatte große Formen geliebt, Schwünge, die die Kühnheit des Bauherrn offenbaren, und Räume, die lang genug sind, um ein Regiment hindurchzubefehlen. Mehr als alles hasste er aber die Erinnerung, die an Chesthill klebte wie altes Fett. Die Erinnerung daran, dass es eine Zeit vor Chesthill gegeben hatte. Die Zeit von Meggernie.
Rob trieb das Pferd mit Gertenhieben, auch wenn sein Kopf und seine müden Arme schmerzten. Von Fortingall ritt er in sein Tal Glenlyon hinunter und den Fluss entlang, ohne den Blick nach Meggernie zu wenden. Sein Luftschloss stand zwar noch, gehörte jetzt aber anderen, für die es nur ein Haus war, das sie sich erschachert hatten. Für ihn, für Rob Glenlyon, war Meggernie das einzige Haus, das
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