Glencoe - Historischer Roman
treten und ihr sagen müssen, dass sie fortan kein Dach mehr über dem Kopf hätten.
»Robert Glenlyon, welch erstaunliches Zusammentreffen«, sagte der Mann und hob sein Glas. Er war Archibald Argyll. Der höchste Chief des Campbell-Clans.
Rob sagte nichts, während Argyll und Breadalbane einander zutranken wie gute Kumpane. Kurz fühlte Rob nichts als Gier auf das Getränk, nichts als die Hoffnung, der Vetter möge ihm ebenfalls ein Glas vollschenken. Der aber dachte nicht daran, sondern hob sein Glas ein zweites Mal und nickte wiederum Argyll zu, der mit feinem Lächeln die Geste erwiderte.
Was soll das Getue? , hätte Rob am liebsten geschrien. Breadalbane war Argylls Onkel, und auch wenn sie im Alter nur knapp auseinanderlagen, hätte der höhere Rang Breadalbane gebührt – zumal Argylls Vater und Großvater auf dem Schafott gestorben waren und kaum ein Mann im Hochland ihrem Erben eine glänzende Zukunft prophezeit hätte. Wie der Phoenix Argyll sich Schale um Schale die Asche von den Flügeln streifte, blieb sein Geheimnis, und Rob wusste, dass Breadalbane vor Neid auf den Neffen, den er heimlich einen Spross von Galgenvögeln schimpfte, schier erstickte.
»So schweigsam, Rob?« Der Vetter zog den Mund spitz und schlürfte sein Getränk. Erst jetzt fiel Rob auf, dass die beiden nicht Gälisch sprachen, sondern Englisch, was bei Breadalbane klang, als versuche seine Zunge, auf Stelzen zu gehen. »Hast du dich auf den Weg hierher gemacht, um wie mein Pflugochse vor dich hin zu glotzen? Allerdings ist mein Ochse besser genährt. Das Röckchen da schlackert um die Brust, und unter uns, mein Bester, es könnte die Kleiderbürste vertragen.«
»Ihr bringt den Ärmsten in Verlegenheit«, mischte Argyll sich gelassen ein. »Was kann ein Mann dafür, wenn ihm ein schludriger Diener einen Rock reicht, den er sonst bei seinen Jagdhunden trägt?«
Robs Hände fuhren an die Rockaufschläge. Der Samt war abgeschabt, und unter dem Kragen klebte noch immer ein Faden vom Erbrochenen.
»Fragen wir den teuren Glenlyon lieber nach dem Grund seines Besuchs«, schlug Argyll launig vor. »Ich bin gespannt wie eine englische Bogensehne. Ihr etwa nicht?«
»Ich kann mir den Grund schon denken«, erwiderte Breadalbane. »Wenn mein Vetter mir die Ehre erweist, geht es allezeit um Geld.«
»Das ist nicht wahr!«, rief Rob auf Gälisch. Er musste husten und wiederholte seine Worte auf Englisch.
»Ist es nicht ? Kommst du also aus Vetternliebe und richtest mir Grüße von der ehrsamen Helen aus? Wie alt sind deine Töchter, Rob? Müssten wir nicht bald Hochzeit halten? Bist du etwa hier, um mir die Einladung höchstselbst zu überbringen? Das soll mich freuen, ja, ich komme sogleich ins Grübeln, was als Geschenk für das junge Paar wohl angemessen wäre.«
»Eine Mitgift«, platzte Rob heraus. Dann stockte ihm der Atem.
»Warum sprichst du nicht weiter?«
Der Boden, auf den Rob starrte, drehte sich. »Meine Anne kann nicht heiraten, weil ich die Mitgift nicht aufbringe, die ihr Bräutigam verlangt. Woher soll ich’s mir auch schneiden? Mir ist ja alles genommen.«
»Habe ich’s Euch nicht gesagt?«, wandte sich Breadalbane an Argyll. »Einen Besuch meines Vetters verdanke ich nie und nimmer meiner Gastlichkeit.«
War es gastlich, einen Besucher verdursten zu lassen? »Hätte ich meine Güter noch, die von meinem Vater auf mich gekommen sind, könnte ich meine Töchter ausstatten, wie es ihnen gebührt«, fuhr Rob auf.
»Und wer hat dir diese Güter genommen, die von deinem Vater auf dich gekommen sind, he? Ich vielleicht? Ich herzloser Halsabschneider habe nicht Gnade vor Recht ergehen und dich die Kleinigkeit behalten lassen, die du mir schuldig warst – und deshalb bin ich schuld, dass eine arme Jungfer ledig bleiben muss?«
»Ich habe nicht …«
»Nein, du hast nicht. Du hast nie , Rob, das ist die Krux mit dir. Hätte ich dir gestundet, was du verprasst hast, wer weiß, welches Ende das genommen hätte. Ein Verschwender wie du ist in der Lage und bringt einen ganzen Clan an den Bettelstab.« Er wollte sich die Kehle befeuchten, stellte jedoch fest, dass sein Glas geleert war, und griff nach der Karaffe.
Rob atmete auf. Wenn er erst etwas zu trinken bekam, würde sich der Druck in seinem Kopf lösen.
Als Breadalbane zu Argyll trat und ihm ungeschickt einschenkte, fiel Rob auf, warum die ganze Situation so seltsam anmutete. Warum stand kein Diener bereit, um den Herren aufzuwarten? Was hatten die beiden
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