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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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weil er kein so hübsches Ding schädigen wolle, erlasse er ihr die Prügel, die ihr zukämen. Als sie von hier fortgegangen war, hätte kein Mensch sie hübsch genannt. Zuerst war sie sicher, der Mann treibe Spott mit ihr, dann aber fragte sie sich: Was haben die Jahre aus mir gemacht, die Jahre mit meinem Mann, in denen ich sein Haus bestellte und seine Kinder bekam? Was hat es aus mir gemacht, dass ich ihn so gern ansah, ihn so gern in den Armen hielt, dass ich entzückt von ihm war und Lust hatte, mir aus seiner Schulter einen Mundvoll herauszubeißen? Was hat es aus mir gemacht, dass er mich beim Lieben ansah, nie die Augen schloss, dass dieser staunende Blick noch auf mir ist?
    Zuletzt war Sarah so verzweifelt gewesen, dass sie Jean in all die löchrigen Decken der Tante wickelte und zu Fuß losging, zum Fluss hinunter und das Ufer entlang. Als es aber erst zu regnen, dann zu hageln begann, kauerte sie sich auf einen Stein, krümmte sich über ihr Kind und ließ alles laufen, weinte über ihre Erbärmlichkeit, über die völlige Ausweglosigkeit ihrer Lage: Wie konnte eine Mutter ihrem Kind eine solche Reise zumuten, ohne Geld, ohne Brot, ohne Kenntnis vom Weg? Wie aber sollte eine Frau nicht reisen? Wie sollte sie in einer Kammer hocken bleiben und sich den Mann rauben lassen, sich nicht an ihm festkrallen, wenn ihn der Henker holte?
    Ein Bauer erbarmte sich ihrer und brachte sie nach Chesthill zurück. Weil sie bis auf die Knochen erschöpft war, schlief sie ein. Sie träumte, Sandy Og scharre noch einmal mit seinen zwei linken Händen an ihrem Fenster, er klemme sich tölpelhaft ein, verkünde ihr wichtigtuerisch seinen Namen, während er mit fuchtelnden Armen in einer Fensterluke steckte.
    Dein Vater hat mich beim Würfeln gewonnen. Aber du hast mich beim Fensterklettern gewonnen. Ich habe dich in deinem Schraubstock zappeln sehen und gedacht: Wie kann ich denn einen anderen nehmen als den?
    Am folgenden Nachmittag ging sie in den Hof, weil sie in der Kammer keine Luft mehr bekam. Sie sah, wie die Tante zum Tor gerufen wurde, und lief ihr drei Schritte hinterher, stülpte wie als Mädchen einen Eimer um und stieg darauf, um zu sehen, wer gekommen war. Vielleicht war es der Onkel – irgendwer, der ihr helfen konnte, vielleicht ein Bote mit Nachricht. Vielleicht der Vater MacIain , träumte sie einen verrückten Herzschlag lang, einer, der gemerkt hat, dass ich fehle, der mich nach Hause holt.
    In den Gedanken gellte die Stimme der Tante, die irgendetwas schimpfte, dann die Stimme des Besuchers, der seinen Namen nannte. »Sandy Og MacDonald aus Glencoe«, sagte er. »Sohn des MacIain. Bruder von John. Ich will zu meiner Frau.«
    Sarah schrie, schwankte auf dem Eimer, stieß ihn um und stürzte bäuchlings aufs Pflaster. Es tat höllisch weh. Rippen und Becken krachten, als zerschelle das Häuflein Sarah wie gebrannter Ton. Die Luft blieb ihr weg, und erst als sie unter Schmerzen wieder danach schnappen konnte, hörte sie Hufe übers Pflaster schlagen, während die Tante krakeelte: »Ohne deinen Unfug wäre der Mensch nicht auf meinen Hof gekommen! Schließlich hast du gesagt, du bist weg von ihm, du bist nicht mehr sein Weib.«
    Ich bin Sarah, die kaum noch sieht, aber alles hört. Sarah hörte den mächtigen Aufprall, mit dem er vom Pferd sprang, dennächsten, mit dem er sich auf die Knie fallen ließ, sein Stöhnen. Sie wollte mehr hören, aber ihre scharfen Ohren streckten gegen andere Sinne die Segel. Sandy Ogs Atem traf ihren Hals, seine schnaufende, zappelige Gegenwart. Ein bisschen stank er, daheim hätte sie ihn zum Waschen geschickt, aber er roch noch nach Sandy Og.
    »Kannst du das zu mir sagen, Sarah? Dass du mein Weib nicht mehr bist?«
    Da war so viel in seiner Stimme, dass sie ihm die Hand auf den Mund legen musste. Erst als die Hand schon dalag, begriff sie, dass sie ihn berührte, dass das unter ihren Fingern sein Mund war. Für einen langen Augenblick erlaubte sie sich die Vorstellung, mit einem Finger seine Lippe zu streicheln, dann zog sie die Hand zurück, rappelte sich auf und sah ihn an. Dieser Mann und ich , dachte sie, wir können nie etwas tun, wie es sich ziemt. Jetzt hocken wir hier in den Pfützen, er auf seinen Knien und ich auf meinem Hintern. Wir hätten mehr zu sagen, als in den Heiligen Evangelien steht, und bringen doch nichts davon heraus, dieser Kerl noch weniger als ich.
    Sie wollte das zum Lachen finden. Aber es war nicht zum Lachen. Sein Gesicht war hager, die Haut wie

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