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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Gastfreundschaft. Ich weiß, es widerstrebt dir, im Haus des Onkels zu schlafen …«
    »Das wäre albern«, unterbrach er sie. »Aber wenn es dir und Jean nicht zu hart wird, ritte ich gern heute Nacht noch nach Glencoe.«
    Er machte sich wegen der Proklamation Sorgen, wegen des Eides, über den auch die Tacksmen in Glenlyon sprachen. Es blieben noch fast vier Monate, ihn zu leisten, aber die Spanne schmolz zum Nichts, verglichen mit der Breite des Grabens, den der MacIain überspringen musste und der mehr als sein Leben umfasste. Die Welt hielt nicht an, schlug keine Furche in die Zeit, in der Sarah und Sandy Og miteinander hätten still sein dürfen. »Ich möchte lieber keinen Tag verlieren«, sagte Sandy Og. »Selbst wenn er vermutlich kein Wort mehr mit mir spricht.«
    »Wenn er kein Wort mit dir spricht, gebe ich ihm Saures. Ich für mein Teil spreche nur mit ihm, weil er trotz allem ein prächtiger Vater sein muss, denn sonst hätte er keinen solchen Sohn.«
    Er lächelte schief. »Mein Sohn fehlt mir. Reiten wir heute Nacht?«
    »Bist du sicher, dass es dir so gut geht?«
    »Trefflich«, sagte Sandy Og. »Mir fehlt nichts.«
    Sie zog, nicht ohne Umsicht, seinen Kopf zu sich und flüsterte eine lange Folge Liebesworte in sein rechtes Ohr. Dann ließ sie ihn los. Nahezu entsetzt sah er sie an, biss sich auf die Lippen und schüttelte bedauernd den Kopf.
    »Ich zwinge dich nicht zu sprechen«, sagte sie. »Und in den Nächten rühr ich dich nicht an und mach die Augen zu, bis du mir sagst, dass ich dich wieder lieben darf. Ich will nur wissen, ob du reiten kannst, ob dir auf dem Weg nichts geschieht.«
    »Mir nicht. Nur der arme Klepper wird ächzen.« Endlich umarmte er sie, vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und murmelte »danke«.
    »Dann möchte ich gern heute Nacht nach Glencoe. Jean wird es höchst vergnüglich finden.«
    Also ritten sie. In der Stille der Sterne. Sarah vorn, Sandy Og hinter ihr, das Kind auf Sarahs Hüfte gebunden. Das kleine Pferd schaukelte schlimmer als ein Flusskahn, aber es brach nicht zusammen, und das Geschaukel wiegte Jean in den Schlaf. Sarah drehte sich nicht um, sondern lehnte sich gegen ihren Mann, vernahm sein Herz und das Schnaufen seines Atems. »Sandy Og«, flüsterte sie und wiederholte es noch einmal lauter, als ihr sein Ohr einfiel.
    Aus dem Dunkel drang seine Antwort. »Meine Liebste. Mein Leben. Sarah.«
    »Du hast wahrlich nicht verdient, dass ich dich noch mit Fragen quäle. Darf ich es trotzdem? Damit ich nicht mehr daran denke?«
    »Frag.«
    »Hast du Ceana geküsst? Oder hat sie dich geküsst?«
    »Ich«, sagte Sandy Og mutig. »Ceana ist ein halbes Kind, und sie ist so allein. Du darfst sie nicht schuldig sprechen.«
    »Hör mal«, sagte sie, »ich brauch nicht deinen Edelmut, sondern deine Treue. Kannst du bitte Ceana verraten, nicht mich?«
    »Sarah, ich bitte dich, Ceana ist …«
    Sie schüttelte den Kopf und drehte sich zu ihm um. »Sag’s mir: du oder sie?«
    Er schluckte zweimal. Zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht.«
    »Danke.« Der Versuch, ihn auf dem schaukelnden Pferd zu küssen, misslang, stattdessen ließ sie ihre Hand auf seinem Knie.
    »Ceana ist meine Schwester, Sarah.«
    »Nein, mein Liebster. Selbst wenn du es wirklich nicht wissen solltest – sei getrost, sie weiß, sie ist es nicht.«
    »Sie ist meine Milchschwester. Das bedeutet noch mehr, weil sie ja keinen hat als Gormal, John und mich …«
    »Sandy Og.« Sarahs Stimme schien die Nebel zu trennen. »Woher ist Ceana gekommen?«
    »Weshalb fragst du das? Für mich kommt sie daher, wo John und Gormal hergekommen sind.«
    »Aber du musst doch schon sieben Jahre alt gewesen sein, du musst dich doch erinnern!«
    Er hielt das Pferd an. »Mit meinem Gedächtnis stimmt etwas nicht. Ich bin irgendwann vor lauter Dummheit in den Fluss gestiegen und dabei fast ersoffen. Seither weiß ich nichts mehr.«
    Sarah zog Jean dichter zu sich, drehte wieder den Kopf zu ihm und sah ihm in die Augen. »Du steigst in keine Flüsse, Sandy Og. Du bist der vorsichtigste Mensch, den ich kenne. Und wenn du’s doch getan hättest und dabei dein Gedächtnis ersoffen wäre – sind deine Eltern, die du hättest fragen können, mit ersoffen?«

Château de Saint-Germain-en-Laye, bei Paris, Oktober 1691
    Es war nicht das Schloss, das er als Strafe Gottes erkannte. Das Schloss, obschon mit überzogenem Pomp ausgestattet, wie es der englischen Natur widerstrebte, ließ sich durchaus bewohnen. Es war die

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