Glencoe - Historischer Roman
Nacht tief und die Kanne leer war, ehe ringsum alles Lachen verstummte, er hatte die Kraft eines Hengstes, der im Stehen schlief und dabei schon dem Morgen entgegenzitterte. »Was für Söhne seid ihr denn?«, schimpfte die Mutter weiter. »Könnt euch am Tag nicht blicken lassen, aber den Vater aus dem Bett reißen, das fällt euch ein!«
»Jetzt hör schon auf, lass von den zweien noch was übrig.«Der Vater tätschelte ihr die Wange. »Das konnten die schließlich nicht wissen nach all der Wohllebe hier in den zwei Wochen, dass es ihren alten Vater mit den Hühnern in die Federn haut. Ich mag’s ja selbst nicht wissen. Aber wie’s aussieht, steck ich die guten Tage nicht mehr so leicht weg wie einst.«
Ich hab dich lieb. Du bist ein Jongleur mit Menschenköpfen, du wirbelst uns alle herum, wie mein kleines Mädchen mit Holzspänen spielt. Wenn dir einer passt – Ceana, Ben, Sarah –, fügst du ihn deiner Sammlung hinzu und spielst mit ihm wie mit uns, und jetzt hast du mich wieder so weit getrieben, dass ich dich in die Arme nehmen und vergessen will, was John und ich zu sagen haben. Aber es ist trotzdem ein Segen, mit dir gelebt zu haben, mit einem Mann, der ein bisschen größer als das Leben ist.
Sie mussten sich nicht vor dem Schreibtisch aufstellen, sondern wurden in die Stube geladen und durften sich Schemel vor das niedergebrannte Feuer rücken. Die Mutter, die unterdessen weiterschimpfte, brachte über dem Küchenherd gewärmte Tücher und Wein und Dumplings und hörte erst auf, hin und her zu hasten, als der MacIain sie darum bat. »Sie meint’s gut«, murmelte er, sobald sie gegangen war. »Ihr kennt sie ja. Und ihr nehmt ihr das Gezeter nicht krumm, was?«
»Vater«, begann John, der offensichtlich nicht zugehört hatte, aber der Vater unterbrach ihn.
»He, ihr zwei, ich hab euch was gefragt. Ihr nehmt’s doch der Mutter nicht krumm?«
»Nein«, sagte Sandy Og und ertappte sich dabei, dass er mit beiden Händen an seinem Hemdkragen zerrte, weil etwas ihm die Luft abschnürte. »Wir nehmen der Mutter nichts krumm, und du nimmst uns bitte auch nicht krumm, dass wir nicht hier sind, um Dumplings zu essen.«
»Es geht um die Soldaten«, fiel John schnell ein. »Die Leute murren. Ihnen ist’s nicht geheuer, die Campbells in roten Röcken so lange im Tal zu haben.«
»Tatsächlich?« Der MacIain gähnte und wandte sich SandyOg zu. »Ich dachte, wir hatten eine Menge Vergnügen – mehr Vergnügen, als der arme Tropf Glenlyon in den letzten dreißig Jahren genossen hat, schätze ich. An dem ist doch nichts zu fürchten, an dem Rob. Ist euch nicht klar, dass der das ärmste Schweinchen in Lochaber ist? Wie würd’s einem von uns wohl ergehen, wenn er den eigenen Arsch versoffen hätte und das Narrenkostüm vom Willie auf dem Buckel tragen müsste? Seine Großmutter würde der dem Sassenach verkaufen, wenn er’s nicht längst getan hätte – habt ihr kein Mitleid mit dem Kerl?«
Sandy Og hörte das Band an seinem Kragen reißen. War er nicht mehr als ein nachtragender Kleingeist? Nährte seinen knickrigen Groll gegen einen Mann, der am Boden lag? »Ich fürchte nur«, murmelte er, »dass Männer, mit denen man so viel Mitleid haben muss, gefährlich sein können.«
Der Satz klang völlig falsch – gewiss, weil das Gerede Unsinn war, weil kein Grund zur Sorge bestand. Dass ihm der Nacken wehtat, wenn er Robert Glenlyon gegenüberstand, bedeutete so wenig wie schreiende Rinder, gewaschene Leichentücher und Männer auf Mooren. Oder Pfeifer in Stürmen. Ehe er sich zügeln konnte, entfuhr es ihm: »Vater, warum hat Glenlyons Pfeifer dieses Klagelied geblasen? Er muss irgendwo hier auf einen Felsen gestiegen sein.«
»In der Tat. Und warum sollte er nicht? Dein Geschwätz von Gefahr kommt mir übrigens bekannt vor. Mir ist, als hörte ich meinen Busenfreund Lochiel.«
»Ihr beide macht mich krank!« John war aufgesprungen. »Steckt die Köpfe zusammen und munkelt, als wäre ich nicht hier oder als bräuchte man mich nicht mehr ernst zu nehmen. Aber die Leute in Glencoe, das sage ich euch, die nehmen mich ernst! Die kommen zu mir und sagen: ›John, mit den Soldaten stimmt was nicht‹, und: ›John, kannst du nicht mit deinem Vater sprechen?‹ Was soll ich ihnen sagen? ›Mit meinem Vater zu sprechen hat keinen Sinn, denn der hält mich für einen Narren‹?«
»Beruhige dich.« Sandy Og stand ebenfalls auf und schlang sich das durchnässte Plaid wieder um. »Er hält uns beide für
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