Glencoe - Historischer Roman
einer gestorben wäre, würde Big doch Colins Rinder spielen!«
Dafür küsste er sie wieder, aber was er nur geahnt hatte, ehe die Musik begann, wusste er jetzt mit Gewissheit: Er würde nicht mit seiner Familie zu Abend essen. »Nein. Das ist Glenlyons Pfeifer. Weiß Gott, warum der im Sturm steht und bläst.«
»Es muss wohl einer von den Soldaten …«
Er nickte, strich ihr übers Haar. »Ja, mein Liebstes. Einer von den Soldaten. Weißt du, ich dachte, ich gehe hinüber zu John und frage ihn, ob er auf ein Spiel mit nach Inverrigan kommt.«
»Nach Inverrigan? Beim Himmel! Mach endlich die Tür zu, Sandy Og, ich mag nicht auf meiner eigenen Schwelle erfrieren.« Sie zog ihn tiefer in den Raum und schloss die Tür. Augenblicklich war das Haus so warm, das Spiel des Pfeifers so weit entfernt, dass man sein Unbehagen vergessen konnte. »Was willst du in Inverrigan? Der Onkel kann ja nicht mehr lange bleiben, und ich dachte, du wärst froh, wenn du ihm so wenig wie möglich begegnen musst.«
»Wo das Wetter sich jetzt wieder aufspielt, wird er wohl noch bleiben müssen. Ich weiß nicht, warum, Sarah, aber mir ist’s heute lieber, wenn ich hinübergehen und nach ihm sehen kann. Karten spielen. Nur mich versichern, dass alles seinen Gang geht.«
»Und John kommt mit? Hat John beschlossen, wieder mit dir zu sprechen?«
» Ich hab beschlossen, mit ihm zu sprechen.« Er sandte ihr so viel von einem Lächeln, wie er fertigbrachte. »Ich liebe dich.«
Frauen des Tales, Frauen des Tales,
Ist es nicht Zeit, dass ihr euch erhebt?
»Sandy Og? Kannst du dich bitte nicht von mir verabschieden, als wär’s das letzte Mal, wenn du nur nach Inverrigan gehst, um Karten zu spielen? Andernfalls bleibe ich nicht hier hocken, sondern komme mit.«
Er grinste, sagte nichts mehr, weil ihm nur mehr Zeug einfiel, das klang, als wäre es das letzte Mal, stahl sich noch einen Kuss und ging. Durch das Schneegestöber, das ihm harsch ins Gesicht trieb, und die beginnende Dunkelheit rannte er zum Haus seines Bruders.
Als er die Hand hob, um anzuklopfen, flog die Tür auf und schlug ihm gegen die Stirn. John trat heraus, in Plaid und Mantel gewickelt. »Kommst du zu mir?«
Leicht benommen suchte Sandy Og nach Worten, während John die Tür hinter sich zuzog und an ihm vorbeiging. »Ich wollte eben zu dir«, warf er über seine Schulter zurück.
»Zu mir brauchst du jetzt nicht mehr!« John war kaum zwei Schritte entfernt, schon musste er schreien, so sehr brüllte der Sturm. »Gehen wir ins Haus?«
»Ich will, dass du mit mir nach Carnoch kommst!«, schrie John, wobei er die Hände um seinen Mund zum Trichter formte. »Ich wär allein gegangen, aber neuerdings hört ja Vater nur noch auf dich.«
Sandy Og fragte nicht, was John von seinem Vater wollte und worin jener auf ihn hören sollte, sondern schloss zu ihm auf. Durch Dunkelheit und Schnee zuckten die Flammen der paar Wächterfeuer. Was für eine Nacht, um am Fluss wach zu bleiben, darum zu kämpfen, dass Wind und Niederschlag die klägliche Lohe nicht ausbliesen, und die Zeit zu beschwören,die erfroren schien. »John«, brüllte Sandy Og, »wir sind beide Idioten!«
»Was?«
»Wir sind Idioten!«, brüllte er so laut, dass er sich am liebsten sein hörendes Ohr zugehalten hätte. »Wir sind Idioten, uns um Vater zu streiten wie zwei Mädchen in Spitzenröckchen um einen Gimpel.«
»Was?«
»Nichts!« Seine Lungen schmerzten.
Jetzt brüllte John etwas zu ihm hinüber, einen Lautschwall, aus dem er nur die Worte Vater und Soldaten herauszuhören glaubte. Die genügten ihm. Was der Bruder hatte sagen wollen, wusste er nicht, aber es war offenbar dasselbe, das auch ihm im Kopf umherjagte. Vater. Soldaten. Er bemühte sich nicht mehr, gegen den Sturm anzuschreien, sondern sagte in gewöhnlicher Lautstärke: »Ich hab gedacht, es liegt an mir. An meinem blöden Hahnenkampf mit Glenlyon. Aber daran kann es ja nicht liegen – nicht, wenn es dir genauso geht.«
John sah ihn im Laufen an; Sandy Og vermutete, er habe das Wort Glenlyon verstanden, und gewiss genügte es ihm.
Wenn der Vater sich freute, sie zu sehen, versteckte er es hinter Verlegenheit. Mit bloßen Beinen und zerwühlten Haaren kam er die Stiege hinunter, wobei er sich die Hemdzipfel hastig in den Bund stopfte.
Die Mutter schalt sie beide: »Der Vater war schon dabei, sich zu Bett zu legen, und ihr schreckt ihn wieder heraus.«
John und Sandy Og tauschten einen Blick. Ihr Vater ging nie zu Bett, ehe die
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