Glencoe - Historischer Roman
den ersten Krug, den sein Gastgeber ihm reichte, in die aufgeraute Kehle geschüttet hatte, verspürte er Erleichterung: Bei solch einem Wetter würde Drummond nicht kommen. In seiner raucherfüllten Höhle wäre er zumindest diesen Tag lang sicher.
»Das ist erst der Anfang«, vernahm er die Stimme seines Gastgebers. »Wie lange seid Ihr jetzt hier, mein Guter? Bald zwei Wochen. Sollte mich wundern, wenn Ihr nicht noch länger bleibt, denn wenn sich’s erst mal eingestürmt hat, hört’s so schnell nicht wieder auf.«
»Ich bedaure sehr, Euch zur Last zu fallen«, entgegnete Rob, der gar nichts bedauerte.
»Ihr seid keine Last.« Der Ledergesichtige füllte ihm den Krug. »Ihr seid Gast, und auf seine Gäste war dieses Tal immer stolz. Betrachtet das Haus als das Eure. Wenn Ihr wünscht, hier Gefährten auf ein Spiel zu empfangen, solange sich kein Hund vor die Tür wagt, sollen sie bewirtet werden wie Ihr selbst.«
»Ich bäte gern meinen Verwandten, den Mann meiner Nichte«, entfuhr es Rob, ehe er den Wunsch überdacht hatte. Doch es war richtig, er musste Frieden machen, wenn er aufhören wollte, allnächtlich vor Angst zu schlottern und zu schluchzen.
Der Ledergesichtige lachte. »Der zieht Euch am Spieltisch zumindest kein Vermögen aus dem Beutel, was? Wenn nachher mein Sohn mit mehr Torf kommt, schick ich ihn mit der Nachricht nach drüben. Sind ja nur ein paar Schritte, die schafft ein Kerl selbst im tollsten Schnee.«
Rob nahm noch einen tiefen Zug aus dem Krug, dann schüttelte er den Kopf. »Ich ginge gern selbst, wenn es Euch recht ist. Unsereiner braucht ja Luft und Bewegung bei jedem Wetter, sonst schleppt er im Frühjahr schwer am Speck und noch schwerer an den Flausen.« Er zwang sich ein Lachen ab.
Als er den Raum verließ, hörte er den Ledergesichtigen zu seiner krummrückigen Frau sagen, was für ein angenehmer Kerl Rob Glenlyon sei, einer, dessen Sohn man mit Freuden seine Tochter gäbe.
Sooft Ceana das Fenster abwischte, beschlug es gleich wieder, auch sah man durch den Schneefall nicht einmal bis zum nächsten Haus. Dass Rob Glenlyon das Haus verließ, sah sie dennoch, denn sein roter Rock war auch im dichtesten Weiß nicht zu verfehlen. Sie hatte gehört, wohin er gehen wollte, und gewusst, dass heute der Tag war. Hastig wickelte sie sich in ihr Tuch und rannte hinter ihm her.
Der Wind war so laut, dass sie brüllen musste. »Wartet, wartet! Ich habe mit Euch zu sprechen.« Es war das erste Mal, dass sie bei Tag das Wort an ihn richtete, und die vertraute Anrede der Nacht kam ihr noch nicht über die Lippen. Er blieb stehen und drehte sich um. Der Schnee fiel zu stark, um seine Miene zu lesen, daher rannte Ceana einfach weiter und warf sich ihm an die Brust.
»Herr des Himmels!« Er schien zu zaudern, ehe er die Arme um sie legte und seinen Soldatenmantel zum Schutz um ihren Rücken breitete. »Was tust du hier?«
»Kommt mit, uns braucht niemand zu sehen.« Sich dicht an ihn drängend, führte sie ihn in den Schober, auch wenn sich keine Seele blicken ließ und es ihr im Gebrüll des Windes vielleicht leichter gefallen wäre zu sprechen. Im Schober roch es nach Leder und Stroh, es schien warm und still gegen den Aufruhr der Elemente, der die hölzernen Wände erzittern ließ. Ceana verriegelte die Tür. Sie atmeten beide schwer, und von ihren Gesichtern tropfte Wasser. Mit einem Mal wünschte sie sich, sie hätte vorgesorgt und eine Kanne Lebenswasser hierhergeschafft – nicht nur für ihn, sondern auch für sich. Es musste heraus, es musste jetzt heraus! Sei mein Messer. Wenn er an diesem Abend Sandy Og gegenübersaß, sollte er bei jedem Blick auf ihn daran denken.
»Was also gibt es? Ich bin unterwegs, um meinen Verwandten für nachher auf ein Spiel zu laden.«
War ihm unwohl, bei Tag mit ihr zu sprechen? Am liebsten hätte Ceana sich die Kleider von den Schultern gerissen und ihm ins Gedächtnis gerufen, wie schön sie war und wie sehr er sie brauchte. Auch wenn er zu alt war, um mit Frauen zu tun, was Männer taten. Er klammerte sich noch immer die ganze Nacht lang an sie und heulte, wenn sie nur einen Arm befreite. »Ich weiß«, rief sie schnell. »Deshalb muss ich dich sprechen.«
»Ja, ja, sprich.«
Sie packte seine Rockaufschläge und zog sich an seinen Leib. »Dieser Verwandte von dir …«, ihre Stimme klang erstickt, ohne dass sie nachhalf, es war ja alles die Wahrheit und viel mehr als das. »Er hat mich geschändet. Wieder und wieder. Deshalb bin ich aus
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