Glencoe - Historischer Roman
angetan hatte, und seine Buben bringen wollte, damit sie ihn bewundern konnten. Aber wie war das möglich? Der MacIain und seine Söhne durften nicht entkommen. Sollte er das alte Ledergesicht vor dem Tod bewahren, seinen harmlosen Gastgeber? Nein, auch das war unmöglich, denn wenn der überlebte, würde man es dem Mann zur Last legen, der auf Inverrigan einquartiert war.
Meine Nichte Sarah! Meine Nichte Sarah muss ich doch retten, ich kann nicht Blut von meinem Blut vergießen! Die Gesichter schwammen in seinem Kopf ineinander, und als er begriff, dass es auch keinen Weg gab, seine Nichte zu retten, brach er inSchluchzen aus. Zu seinem Glück schluckte der Sturm die Laute. Er hieß die Männer, in dem Windschutz, den die Wachen um ihr Feuer errichtet hatten, auf ihn zu warten.
Aus den Kammern des Hauses war kein Laut zu hören. Schliefen die alle – die Seligen, Herren wie Knechte, ohne eine Sorge im Nacken, ohne eine Last auf dem Gewissen? Wann war das mir je vergönnt?
Als Rob die Tür seiner Kammer aufzog, schreckte er zurück. Die Kerze brannte, und auf seinem Bett saß Ceana im weißen Totenhemd wie eine Bean Nighe. Die Geistererscheinung seiner Nächte, sein Engel, der heute Morgen so jäh in die Welt des Tages eingebrochen war und ihm von allen möglichen Verwicklungen erzählt hatte, als hätte er dafür Zeit. Über die Ereignisse hatte er die befremdliche Begegnung im Schober vergessen. Was wollte das Mädchen? Ein Gedanke kam ihm: Die Kleine kann ich retten. Sie war gut zu mir, sie ist so hübsch, und von Töchtern steht nichts in dem Befehl.
»Ich habe auf dich gewartet«, sagte sie. Ihr Gesicht tanzte vor seinen Augen auf und ab.
Dass er in Eile sei, wollte er ihr sagen, dass sie gehen müsse, irgendein Plaid und irgendwelche Schuhe nehmen und fliehen, sich verbergen, bis alles vorüber war. Wenn du verschont bleibst, bleibe auch ich verschont. Nimm einen Mann, und erzähl deinen Kindern, wem du dein Leben verdankst.
Sie schwebte mit ihren Geisterschritten auf ihn zu und schlang die Arme um ihn. Er fühlte sich, als sei er in eisernen Streben gefangen. »Du hast heute mit ihm gesessen.«
»Mit wem?«
»Mit dem Tier, das mich zerstört und ausgelöscht hat. Mit – mit meinem Bruder.«
Was redete die? War das ein weiterer Spuk, um ihn zu narren? Herr des Himmels! Ihm blieb kaum Zeit und ihr noch weniger, warum löste sich nicht endlich dieser Wahn?
Sie verbarg ihren Kopf. »Du wirst ihn bezahlen lassen,nicht wahr? Ich habe niemanden als dich, aber du wirst es vergelten.«
Auf einen Schlag begriff er. Sie redete schon wieder von ihren haarsträubenden Verwicklungen, Verrücktheiten junger Mädchen, die keinen wahren Kummer kannten. Er griff ihre Handgelenke und riss sie von sich weg. »Bist du toll?«, schrie er, ehe er sich auf die Schlafenden besann und leiser fortfuhr: »Glaubst du, für deine kleinen Mädchensorgen ist noch Zeit? Glaubst du, es spielt noch eine Rolle, was du mit deinem Bruder treibst oder mit einem feisten Kuhhirten im Stroh?« Schon wieder schrie er. Halb blind vor Zorn stieß er sie aufs Bett und warf das verfluchte Papier hinterdrein. »Hier, lies das, und begreife, dass dafür nie wieder Zeit ist! Und dann nimm deine Beine in die Hand und flieh, oder ich kann nichts mehr für dich tun.«
Rob sah nicht, was sie mit dem Papier tat, ob sie es las, ob sie sich zur Flucht bereit machte. Mit zitternden Fingern prüfte er Patrone um Patrone in seinem Gurt, sicherte das Bajonett an seinem Musketenlauf und wickelte seine Pistole in ein Öltuch, ehe er sie in die lederne Hülle schob. Es gab nichts mehr zu tun, nichts mehr hinauszuschieben. Seine Männer warteten.
Das Mädchen schrie.
Er sprang zu ihr und presste ihr die Hand auf den Mund. »Sei leise, verdammt! Wenn du einen aufweckst, muss ich ihn unter seinem Dach erschießen.«
»Aber der MacIain …«, sprudelte es aus ihr, sobald er die Hand lockerte, »aber Sandy Og … Sandy Og hat doch für uns den Eid geschworen!«
Den Eid. In der Tat. Rob hatte es von Hill gehört, der die Liste mit eigenen Augen gesehen hatte. Der Name stand an letzter Stelle: MacIain von Glencoe . Der einfältige, arglose Hill hatte noch einen Scherz gemacht: Von einer Liste, die der Staatsrat herausgegeben hat, kann nicht einmal der Teufel einen Namen streichen. Aber der Teufel musste ja den Namen ausgestrichen haben. Dalrymple wollte ein Exempel statuieren, Glencoe wardas Opfer seiner Wahl, und Rob konnte nichts tun, als den Befehl zu
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