Glencoe - Historischer Roman
aber tappte Eiblin noch einmal auf den Hintern und brummte: »Gibst du jetzt Ruhe? Ich bin das einzige Kind des MacIain, also übernehme ich seinen Platz, und nach mir wäre die Reihe an Ceana, die sein Milchkind ist, dann erst an dir, seinem Schwiegerkind.« Und dann an Sarah – wie sehr wünschte sich Sarah, Gormal möge auch das noch sagen. Doch Gormal sagte nichts dergleichen. »Weiter geht’s, mein Dickerchen«, ermunterte sie Eiblin nur. »Wir haben es bald geschafft, und oben setzen wir gleich Milchsuppe an und geben Honig und Zuckerpflaumen zu.«
»Aber Johnnie«, schluchzte Eiblin auf, »wie kann ich’s mir wohl sein lassen, wenn ich nicht weiß, ob mein Johnnie noch lebt?«
Gormal kratzte sich an der Stirn. »Wenn er nicht beim Pinkeln in ein Loch gefallen ist, wird er wohl noch leben. Solange Vater MacIain keinen Boten schickt, lagern alle friedlich in Dalcomera, und dein Geplärr hat weder Sinn noch Grund.«
So waren sie weitergezogen. Eiblin hatte sich auf der Hochweide mit einem Napf Suppe trösten lassen, dann hatte es zwei Tage Arbeit erfordert, die Hütten des vergangenen Sommers für den beginnenden herzurichten, und zum Grübeln war wenig Zeit geblieben. Dennoch dachte Sarah mehr als einmal an das, was Eiblin ausgesprochen hatte: Dass du den Burschen, dem sie dich ins Bett legen, Tag und Nacht in deinen Armen halten willst, das hat dir die Mutter nicht gesagt.
Jetzt, wo Sandy Og fort war, besann Sarah sich auf Dinge, die sie alltags vergaß: seine Schlüsselbeine, die stark hervortraten und die zarte Halsgrube bargen, seine Schenkel in den festen Strümpfen, sein Haar, das rot war wie das Haar seinerGeschwister, aber dunkler, wie schwarzer Wein. Auch seine Augen waren so dunkel, dass man ihre Farbe kennen musste.
Sarah hatte keine Mutter gehabt, die ihr vom Eheleben hätte erzählen können, aber die Großmutter hatte gesagt, es lasse sich ertragen: »Jammern nützt ohnehin nichts. Wenn du’s lang genug ertragen hast, gewöhnst du dich, und hast du dich gewöhnt, ist’s dein Leben geworden, um das du weinst, wenn du’s begräbst.«
Es war gekommen, wie die Großmutter es prophezeit hatte. Aber es war auch ganz anders. Großmütter erzählten nichts von Halsgruben, geschweige denn von Schenkeln . Und wenn du nicht nach Hause kommst, Sandy Og, bin ich keine aus Glencoe mehr, dann bin ich eine aus Nirgendwo.
Erst nach Tagen trafen zwei Boten ein. Sarah sah ihre schweißnassen Pferde auf dem Joch, wo sie absteigen mussten, weil kein Pferd den Gebirgsweg hinaufkraxeln konnte. Sie sah Gormal, Eiblin und andere tuscheln, aber sie ging nicht hin und blieb stumm, auch wenn die Ungewissheit sie quälte. Wenn ich mich vor denen zur Bettlerin mache, haben die recht und ich unrecht. Dann gibt es wirklich nichts, das ich Sandy Og zu bieten hätte.
Sie tat, was die anderen taten. Sie saß vor ihrer Hütte, webte, butterte, schöpfte Käse und legte ihn auf Steinen zum Trocknen aus. Da der Mai sonnig begann, geriet der Käse würzig und so zäh, dass man ihn wie Fleisch in Fasern reißen konnte. Gormal wählte Vieh zum Schlachten aus, und die Frauen stellten Wurstkessel auf. Es roch nach köchelndem Blut, in das Gerstenmehl gestreut wurde, und nach starken Gewürzen, die die Frauen mit Hafer, Fett und Zwiebeln mischten und an die Innereien der Schafe gaben, um dann nach Kräften alles zu vermengen. Sarah wünschte, sie hätte auf etwas so stolz sein können wie Eiblin auf ihre Wurst.
Stattdessen bereitete ihr das Wurstkochen Übelkeit. Es erschien ihr unpassend, an ihren Mann zu denken, an verletzliche Haut und geschliffene Klingen, und dabei in gehäckseltenInnereien und Blut zu rühren. Das Hemd, das sie beim Wurstkochen trug, musste sie ständig auswaschen, weil der Geruch sie quälte, und doch überwand sie sich. Im Stillen hoffte sie, eine der Frauen möge sehen, dass sie tat, was alle taten. Sind wir nicht Schwestern, jetzt, da wir um zwei Brüder bangen? Sie hoffte im Stillen, Eiblin würde zu ihr sagen: Du musst wissen, wie es um Sandy Og steht, Sarah. Du bist doch eine von uns.
Tage verstrichen. Wie die Mückenschwärme, die Mensch und Tier plagten, lastete Spannung über dem Lager, die noch wuchs, als zur erwarteten Zeit kein Bote kam. Frauen bereiteten Mahlzeiten, Jungen hüteten Vieh, und Alte banden Kräuter zum Trocknen, aber es herrschte oft Schweigen, wo sonst gealbert und gesungen worden war, und manch eine, die als wandelnde Langmut bekannt war, fuhr wegen einer Lappalie aus der
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