Glencoe - Historischer Roman
würden es nicht singen können, denn dem Boten war befohlen worden, über die Namen der Toten zu schweigen. War es nicht unerträglich zu sterben, ohne dass einer Colins Rinder sang? War es nicht, als hätte man nicht gelebt?
Er hätte es seinem Feldherrn singen wollen. Als Gruß von Glencoe. Aber Sandy Og sang nie. Die Vorstellung, er könne jetzt, gegen die Pfeifen, zum Singen anheben, entlockte ihm ein umziemliches Lachen, das Ewen Cameron den Kopf wenden ließ. Sandy Og hob schuldbewusst die Schultern. Dabei aber blieb es, auch wenn sie inzwischen die Wirtschaftsgebäude der Festung passiert hatten, sprach keiner von beiden. Sandy Og konnte sich nicht länger vorgaukeln, er habe noch Zeit.
Im Vorhof der Burg ließen sie Pferde und Gepäck. Die Männer, die am Vorabend andere Männer zerhackt und neben sich hatten verrecken sehen, die seither nichts gegessen und kaum geschlafen hatten, hätten Hafergrütze bekommen sollen, bekamen aber Wein. Er brach ihr Schweigen, wie Märzlawinen die Stille des Eises brechen. Lärmend drängten sie in die Kirche, um ihren Feldherrn zu begraben. Niemand sang Colins Rinder, aber James Philip von Almerieclose, Dundees blutjunger Standartenträger, verlas tränenerstickt ein lateinisches Preisgedicht auf die Farben des Tartan, das Spiel der Pfeifen und den Todesmut der Hochländer. Dass die meisten der Trauernden kein Latein verstanden, verstärkte die Wirkung. Kann ihnen nicht wenigstens einer den Wein wegnehmen?, flehte Sandy Og stumm. Ein Blick zu Lochiel aber wurde nur mit Kopfschütteln erwidert.
Die Hoffnung, dass ihm und Lochiel erspart bleiben würde, was sie versprochen hatten, gab Sandy Og beim Auszug aus der Kirche auf. Immerhin: Die Männer waren erschöpft und mussten noch ein Lager aufschlagen, vielleicht würde die Müdigkeit ihr Recht fordern und für Ruhe sorgen. Gleich darauf aber erhob sich eine Stimme, und aus der Menge reckte sich ein Mann, der sich den Schneid nie abkaufen ließ. Ein weißhaariger Kerl, der lieber im zu warmen Mantel schwitzte, als sein Wahrzeichen abzulegen, ein Hüne, der lieber blind im Kreis torkelte, als sich die Tränen aus den Augen zu reiben, ein Alter, der sich weigerte abzutreten, weil seine Söhne zu zweit den Platz nicht füllten, den er einnahm: der MacIain von Glencoe.
Sandy Og kannte diesen Kerl wie keinen. Der Alte war selbstsüchtig wie ein Kind, töricht wie ein Jüngling und vernagelt wie ein Greis, und doch schnürte die Liebe zu seinem Vater ihm die Kehle zu. »Männer von Killiecrankie«, brüllte der MacIain, dem Tränenströme übers Gesicht rannen, »Jakobiten, Heer der Hochländer. Sie haben uns den Besten genommen. Hoch die Becher! Die Heide soll weinen. Auf Bonnie Dundee!«
»Auf Bonnie Dundee!«, grölte der Pulk.
»Männer von Killiecrankie«, schrie der MacIain noch einmal. »Wir haben unseren Feldherrn verloren. Ich habe die Hälfte meiner Männer verloren. Ihr alle habt Brüder und Söhne verloren. Aber wir haben uns selbst nicht verloren! Wir haben gesiegt , und wir geben nicht auf. Es wird kein Frieden in Schottland sein, ehe Jamie nach Hause kommt!«
Als das Grölen einsetzte, hielt sich Sandy Og die Ohren zu. Lochiel schlug ihm in den Nacken, scharf schnitt Schmerz in seine wunde Schulter.
»Männer von Killiecrankie«, schrie sein Vater, als sei er verliebt und Killiecrankie der Name seiner Schönen, »dass wir beschließen, Jamie die Treue zu halten, genügt nicht. Wir müssen einen Eid darauf leisten.«
Von Neuem begann das Grölen. Sandy Og sah wieder Lochiel an, und Lochiel sah Sandy Og an. Der Lärm verblasste in Sandy Ogs Ohr, wich der Stimme des Toten: Falls mir etwas zustoßen sollte, sorgt dafür, dass die Männer keinen Eid leisten. Sie mögen so viele trunkene Beschlüsse fassen, wie sie wollen, aber keinen Eid, nichts, das sich nicht aufheben lässt.
Bedauernd wiegte Lochiel den Kopf. Er würde weiterhin schweigen. Also sprach Sandy Og. »Wir dürfen das nicht erlauben.«
Die Männer bildeten einen Ring um ihre Chiefs, drängten sich dicht zueinander, streckten die Arme und reichten feurige Kreuze herum. In die Mitte stellte sich der MacIain mit Bonnie Dundees Schwert.
»Wir dürfen nicht«, wisperte Lochiel, »aber wir müssen . Uns bleibt nichts anderes übrig.«
Schon legte seine Hand auf die Klinge, wer immer sie erreichen konnte. Ian Lom und Ranald vom Schild zupften ihre Harfen und dichteten dem Eid bereits ihr Lied, das sie Killiecrankie nennen würden.
Sandy Og überlegte.
Weitere Kostenlose Bücher