Glencoe - Historischer Roman
auszugleiten.
Ceana seufzte erleichtert. Endlich kam hinter dem zweiten Joch der gegenüberliegende Hang in Sicht. Fraoch Eilean – der Ruf der MacDonalds schien von hier gen Himmel zu gellen. Als die Frauen und Kinder von Glencoe vor Monaten aufgestiegen waren, war die Heide noch kahl gewesen, jetzt leuchtete sie mit einer Kraft, die Nebel schmelzen ließ. Eiblin kamen die Tränen, als sie das rote Zauberspiel sah, aber sie weinte nicht so, wie man es von ihr kannte, mit Lärm und Gezeter, sondern still. Die Tränen liefen wie Regen.
Ceana blieb stehen und wandte sich ihr zu. Sogleich warf sich Eiblin ihr in die Arme. Ceana war ihre Nähe nicht angenehm, aber es rührte sie, dass sich die hochgemute Eiblin so verzweifelt nach Zuneigung sehnte. Sie hielt sie eine Zeit lang fest, dann setzte sie sich mit ihr auf einen Felsvorsprung.
Unter Schniefen begann Eiblin zu sprechen: »Ich werde im nächsten Jahr kein Kind haben, Ceana. An Beltane steh ich wie die vertrocknete Campbell mit leeren Armen da.«
»Kommt es denn auf ein Jahr an?«, versuchte Ceana einen lahmen Trost. »Du hast doch schon wohlgeratene Kinder.«
»Ha!«, lachte Eiblin auf. »Am Ende hast du sogar recht – heuer wird man ja dafür bestraft, dass man dem Clan brav Erben schenkt.« Es war, wie Ceana vermutet hatte: Eiblin und John, das seligste Liebespaar von Glencoe, krankten weiter daran, dass der MacIain John nach Hause geschickt hatte, weil er Kinder zeugte und Sandy Og nicht. Sandy Og nicht! In Ceanas Herz begann der Schmerz zu rasseln, so gleichmäßig, als zähle man einem unfolgsamen Kind seine Hiebe auf. Nur nahm das Zählen kein Ende. »Bist du denn nicht froh, dass John lebt?«, fragte sie unvermittelt und bereute es sofort.
Aus runden Augen sah Eiblin sie an. »Aber er lebt ja nicht!«, brach es aus ihr heraus. »Er läuft herum wie ein Toter, der nicht hört, wenn man ihn beim Namen ruft, und nicht spürt, wennseine Liebste ihn umfasst. Nennst du das Leben? Wer einem Mann das Herz und den Stolz ausreißt, der macht ihn tot, ohne ein Schwert zu ziehen.«
Mit dem Schwert zu töten ist anders, beharrte etwas in Ceana, obgleich sie sich hütete, es auszusprechen. Seit die Männer in den Kampf gezogen waren, wagte sie des Nachts nicht, die Augen zu schließen, weil sie dann Sandy Og sah: rücklings am Boden liegend, Bauch und Brustkorb aufgeschlitzt.
»Du bist mir immer wie eine Schwester gewesen, weißt du?« Eiblin rückte näher an sie heran. »Viel mehr als Gormal, die die Blutsschwester von meinem John ist, aber steif wie altes Brot. Du dagegen kennst Wärme und Mitleid, auch wenn du noch keinen geliebt hast. Du verstehst, wie ich mich fühle – ganz klein und verloren, weil ich meinem John nicht helfen und ihn nicht zu mir zurückholen kann.«
Ceana nickte. Es verwunderte sie, wie viele sich ihr anvertrauten und dabei darauf hinwiesen, dass sie noch keinen geliebt habe. Als verpflichte dies Ceana, sich mit aller Kraft dem Leid der anderen zu widmen. In Wahrheit waren es gerade die Liebe und der Schmerz, die sie befähigten, einen Funken vom fremden Leid zu erfassen. Sie konnte sich nur vorstellen, wie klein und verloren Eiblin sich fühlte, weil sie selbst sich so fühlte, wenn sie zusehen musste, wie jemand Sandy Og wehtat.
»Wenn ich Sandy Og jetzt vor mir hätte«, schimpfte Eiblin, »ich gäb’s ihm nach Strich und Faden – für das, was er meinem John geraubt hat! Und seiner Campbell gäb ich’s gleich mit.«
»Sandy Og kann doch nichts dafür«, wandte Ceana sinnlos ein. Dass seine Campbell auch nichts dafürkonnte, ließ sie unerwähnt.
Eiblin knirschte mit den Zähnen. »Du nimmst ihn immer in Schutz, nicht wahr? Nun ja, in gewisser Weise ist er wohl dein Bruder – wie kannst du da streng mit ihm sein, zumal du keine Blutsverwandten hast? Aber Sandy Og ist ziemlich feige, wusstest du das? Er kämpft nicht mal gern, kneift lieber denSchwanz ein. Doch wenn’s darum geht, meinem John eins auszuwischen, vergisst er glatt, dass er ein Hosenscheißer ist. Er strotzt vor Neid auf meinen John – ich wette, das hast du auch nicht gewusst. Dass John hübscher und stärker ist, neidet er ihm, dass der MacIain seinen Bruder vorzieht, und vor allem, dass John mich hat, eine gute Frau, die ihm Kinder schenkt und ihn von Herzen liebt.«
Ceana liebte Sandy Og. Das bedeutete, dass sie ihn nahm, wie er war, und von seinen schlechten Eigenschaften ein Lied singen konnte. Feige war er durchaus, bequem wie ein genudelter
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