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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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bei ein paar Regentropfen wie Ratten in die Löcher kriecht?«
    Es regnete auch jetzt, und gewiss dachten die Faulpelze im Dachstuhl bereits daran, ihre Sachen zusammenzupacken. »Es ist nicht ungefährlich, Hoheit«, murmelte Sir Christopher entschuldigend. »Sind die Planken erst nass, rutscht man leicht ab, und die Leute übereilen ihre Arbeit, weil sie frieren.«
    »Sie übereilen sie?« Mary lachte auf. »Mich wundert eher, dass Euch noch niemand bei der Arbeit eingeschlafen ist.« Sie winkte ihrem Pagen, der für den Fall, dass Mary vor Leere ein Schwindel überkam, stets ein wenig Proviant mitführte. Flink bot er ihr ein silbernes Tablett dar. Sie wählte eine Aprikose im Zuckermantel und schob sicherheitshalber eine Blüte aus Marzipan hinterher. »Ich hoffe, wir haben uns verstanden«, bekräftigte sie, sobald ihr die Süße amGaumen neue Kraft verlieh. »Ich wünsche, dass dieses Dach heute Abend gedeckt ist, keinen Tag später.«
    »Aber das ist kaum machbar.«
    »Ihr sorgt dafür, dass es machbar ist.« Ein kleiner Knabe trieb sich am Fuß des Gerüstes herum und reichte einem Vorarbeiter Werkzeug an. Der scherzte dabei mit dem Kleinen so liebevoll und stolz, wie es nur Väter mit ihren Söhnen tun. Wie es William niemals tun würde. »Im Übrigen wünsche ich keine Kinder auf dem Bau«, fauchte Mary. Nirgendwo wünschte sie Kinder. Auf keinem Bau, keinem Fest und schon gar nicht feist und frisch geboren in der Wiege ihrer Schwester Anne.
    »Das ist Young Edwyn.« Diesmal wirkte Sir Christophers Lächeln echt. Er zeigte erklärend auf den Vorarbeiter. »Der Sohn von Old Edwyn. Er will Baumeister werden wie sein Vater und ist schon jetzt sehr geschickt.«
    »Ihr habt mich gehört!« Der Ärger verengte ihr die Brust. Wie satt sie das alles hatte! »Kein Balg auf dem Bau, und heute Abend ist das Dach gedeckt!«
    »Sehr wohl, Hoheit.« Sir Christopher verbeugte sich.
    Mary beachtete ihn nicht, zerrte den Pagen mit sich und ging. Obwohl sie sich im verhassten Holland House sogleich ein Bad bereiten und heißen Wein servieren ließ, war es zu spät. Am Abend lag sie krank.
    Die Hiobsbotschaften, die am nächsten Tag eingingen, trafen sie umso härter, und sie wünschte, William hätte den Takt besessen, sie von ihr fernzuhalten: Die Verräter im Hochland marschierten auf eine Stadt namens Dunkeld. Das hätte Mary verkraftet. Sollte sich doch William damit plagen, schließlich hassten diese Schotten nicht sie, sondern ihn, den Fremden. Das andere aber schnitt ihr ins Herz: Das Dach des Pavillons in Nottingham House war eingestürzt. Der Vorarbeiter, der mit seinem Balg gespielt und die Arbeit vernachlässigt hatte, war dabei zu Tode gekommen und konnte nicht mehr belangt werden. Mary aber, die kein Balg hatte, würde noch wochenlang ohne Heim umherirren und in fremden Betten schlaflos liegen.

3
    Colins Rinder
    Glencoe, September 1689
    Als die Männer Wochen nach dem Sieg von Killiecrankie noch immer nicht zurück waren und auch keinen Boten schickten, sandte Lady Morag zwei Frauen ins Tal, um zu erkunden, ob die Wächter Nachricht hatten. Wahrscheinlich war das nicht. Aber der Schar auf den Hängen ging es schlecht. Unter den Rindern war ein Sterben ausgebrochen, und die Frauen kämpften mit allen Kräften darum, so viele wie möglich am Leben zu halten – auch wenn die meisten von ihnen noch immer nicht wussten, ob ihre Männer, Söhne, Brüder lebten. Die Tatenlosigkeit quälte sie, bis die Lady beschloss zu handeln. Das Unterfangen mochte sinnlos sein, doch es füllte zumindest einen Tag mit Hoffnung.
    Die Wahl fiel auf Eiblin und Ceana. Die lauffaule Eiblin drückte sich sonst um jeden Weg, aber diesmal hatte sie sich freiwillig gemeldet, und die Lady hatte sofort zugestimmt. Ceana glaubte zu wissen, warum: Eine jede war froh, Eiblin los zu sein, denn das einstige Bündel Lust war unleidlich geworden. Sie tat Ceana leid. Menschen wie Eiblin waren zum Leiden nicht geschaffen, sie hatten zu viel weiches Fleisch, das Schmerz empfand. Während des Abstiegs hielt Ceana sich neben ihr und stützte sie, sooft sie stolperte. Sie hatte ihr Lamm, das sie sonst überallhin begleitete, in den Pferch gesperrt, damit sie Eiblin behilflich sein konnte.
    Das Wetter war düster, die milchweißen Morgennebel ballten sich gegen Mittag zu bedrohlichem Schwarz und Grau. Es regnete nicht, und doch fühlten die Frauen, wie sich unter denKleidern Nässe sammelte. Vorsichtig setzten sie die Füße, um auf dem glatten Fels nicht

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