Glencoe - Historischer Roman
Sarah. Er gefällt mir . Sie musste lachen und wollte zu ihm laufen, aber etwas hielt sie zurück. Eine Weile lang sah sie sich seinen Rücken an, seinen Hintern, die Beine in den zu engen Strümpfen, die erstaunlich großen Füße. Ich bin wie Eiblin: Hier ist eben ein Kind gestorben, und in mir ist nichts als die Gier nach einem schönen Mann.
Dann drehte Sandy Og sich um. Er hatte sich gekämmt und rasiert, trug das Hemd ordentlich bis an die Kehle zugeschnürt. Ich hab dich gar zu lieb! , schrie es in Sarah, doch als ihre Blicke sich trafen, senkte er den Kopf, wartete stocksteif einen Herzschlag lang ab und wandte sich dann wieder der Arbeit zu.
So war es geblieben. Er hatte sie vor jener Nacht gemieden, und er mied sie jetzt noch gnadenloser. Witwen und Mütter waren gegangen, um Colins Rinder zu singen, beide blonde Larroch-Brüder waren tot und der dicke Tam Henderson, der Sohn des Pfeifers. Der hatte für zahllose Tote die Pfeifen geblasen, doch für den eigenen Sohn ließ er es andere tun, denn er bekam seit Killiecrankie nicht gut Luft. Als die Trauernden wiederkamen, zogen alle ins Tal. Die Männer hatten so reiche Beute gebracht, dass die Furcht vor dem Winter verpuffte, und über Lochiels Warnung, es gehe schon bald in neue Kämpfe, sprach keiner. So wie keiner fragte, wozu all das Kämpfen geführt hatte und was aus den Stuarts werden würde, aus Schottland, aus Glencoe. Was immer zu geschehen hatte, es würde nicht im Winter geschehen.
Ceana ging mit der Lady, aber sie sprachen nicht miteinander, Eiblin ging ohne John, Sarah ohne Sandy Og und Gormal ging mit Ben, dem Stummen, den der MacIain angewiesen hatte, ihr mit dem Gepäck zu helfen. »Ich lass ihn dir«, hatte er gesagt. »Brauchst ja einen Kerl, der dir aufs Vieh sieht und aufs Holz.«
Damit war der Sommer zu Ende. Der Schnee kam in diesem Jahr früh. Duncan war nicht mehr häufig daheim, sondern zog mit Angus umher, und Sandy Og beschäftigte sich ständig, obwohl es im Winter kaum Arbeit gab. Sarah war einsamer denn je, doch die Nacht am Black Mount blieb bei ihr.
Mitten in tiefster Kälte, als die Welt erstarrt war und nichts mehr blühte, spürte sie Leben in sich.
Kensington Palace, Januar 1690
Sie hatte dem Haus einen neuen Namen gegeben. Kensington House – nichts Ausgefallenes oder Extravagantes, wenngleich das Volk darauf bestand, es Kensington Palace zu nennen. Es sollte kein Palast sein, so hatte sie es dem Architekten eingeschärft, sondern ein Nest, in dem sie sich einigeln konnte, um die Scheußlichkeit der Welt vor den Toren zu lassen.
Vor Weihnachten hielten sie Einzug, obwohl das ganze Gebäude noch eingerüstet stand und sich überall rüdes Gesindel herumtrieb, was Mary Kopfschmerzen verursachte. Sie hatte erwogen, abzuwarten und die Feiertage noch in den muffigen Gemäuern von Hampton Court zu verbringen. Dort jedoch wurde ebenfalls gebaut, und drei Tage vor dem Fest erschlug ein Dach wie zuvor in Kensington ein paar säumige Arbeiter. Das war zu viel für Marys gereizten Gesundheitszustand, sie lag von Neuem krank und behielt ein bohrendes Klopfen hinter der Stirn zurück. Natürlich war der Vorfall der Schlamperei der Arbeiter zuzuschreiben, aber zugleich sah Mary in ihm die Hand Gottes, der Seine gequälte Dienerin vor dem Schlimmsten bewahren wollte. So verwarf sie ihre Pläne und ordnete auf der Stelle den Umzug ihres Haushalts nach Kensington House an.
Die Lage dort stellte Mary vor herkulische Aufgaben. Wollte sie sich im Frühjahr nicht in einer Wildnis wiederfinden, musste sie dafür sorgen, dass ordentliche Gärten angelegt wurden. Sie wusste schon jetzt, dass auch das neue Haus nie die heimelige Beschaulichkeit ihrer holländischen Residenz ausstrahlen würde, und weinte in den Nächten haltlos um ihre Heimat. Um zumindest die Räume von Kensington House wohnlich zu gestalten, ordnete sie die Überführung ihrer Sammlung chinesischer Porzellane an, ließ aus der königlichen Kollektion Gemälde von Williams Lieblingsmalern Tizian, Holbein und van Dyck aufhängen und wählte unermüdlich Stoffe, Muster und Zierrat. Darüber hinaus fertigte sie Knüpfarbeiten an und führte die Aufsicht über die königliche Küche. Mahlzeiten mit bis zu zehn Gängen mussten auf den Weg gebracht werden, auch wenn sie selbst an Magenkrämpfen litt und selten mehr als etwas Naschwerk zu sich nehmen konnte.
Sie opferte sich auf. Sie hatte das immer getan, ihr war beigebracht worden, dass darin ihr Wert bestand: Tu, was von
Weitere Kostenlose Bücher