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Glencoe - Historischer Roman

Titel: Glencoe - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Lamm einen Namen geben wollen, aber keiner war ihr richtig erschienen. Als es zu spät und das Kindchen tot war, hatte sie es zu Ben gebracht, ohne eine Träne zu vergießen. Ceanas Lamm zu schlachten war das Letzte, was Ben fürden Haushalt des MacIain tat, ehe dieser ihn Gormal gab, damit sie Hilfe hatte.
    Was war in sie gefahren? Ceana ertrug nicht, wie sie gehätschelt wurde, wie man ihr Leckerbissen einschob und sie mit Brühe päppelte, während das kleine Mädchen sich totgehungert hatte. Mit der Verzweiflung wuchs in ihr die Gewissheit, dass sie selbst sterben musste, ihr war zu eng in der eigenen Haut. Sie war niemandes Tochter, aber das Mädchen war jemandes Tochter gewesen, die Tochter von Ros, die bitterlich um sie weinte. Ros hatte in Dunkeld Mann und Sohn verloren, ihr blieb nur ihr Jüngstes, alles andere hatte Ceana ihr genommen.
    Sie ertrug nicht, wenn jemand zu ihr über anderes sprach. Die Lady sprach über den Haushalt, und Eiblin kam, sooft das Wetter es erlaubte, um unter Schluchzern über John zu sprechen. Ceana presste sich die Hände auf die Schläfen, weil sie fürchtete, ihr platze der Kopf. Ihre Ziehmutter hatte ihr nicht beigebracht zu beten, doch jetzt fand Ceana sich nachts betend: Gott, wenn der Schmerz sich nicht mehr aushalten lässt, mach, dass ich mich wegnehme, dass ich nicht zum Messer werde.
    Wenn sie an Sandy Og dachte, zog sich ihr Inneres zusammen. Stets hatte sie seine Nähe gesucht, jetzt aber wich sie ihm aus. Er war fleißig in diesem Winter, zugange, wo es etwas auszubessern gab, und er sah wohl aus, schlank und kräftig, als hätte der Krieg ihm gutgetan. Mir hat er nicht gutgetan! Während du im Krieg warst, während du um dein Leben ringen musstest, habe ich mit einem Lamm gespielt, ist meinetwegen ein Kind gestorben.
    Ende Februar wurden die Schneestürme noch einmal stärker und zwangen sie alle ins Haus. Der MacIain war gereizt, es trieb ihn, mit Ranald und Big Henderson über künftige Schlachten zu sprechen, aber Ranald war seit Wochen erkältet, gelbe Flüssigkeit lief ihm aus Augen und Nase, und Big Henderson verbrannte schweigend den kleinen Satz Pfeifen, auf dem Tam als Knabe gespielt hatte. Auch die Lady war gereizt. Sie gestand esnicht ein, doch Ceana wusste, dass sie sich um Gormal sorgte. Ceana selbst war so gereizt, dass sie nicht stillsitzen konnte, keine Arbeit beenden und schon gar nicht schlafen. Nach einer höllischen Nacht, in der ihr war, als pflüge jedes Denken ihr die Eingeweide um, entschied sie, dass es ein Ende haben musste. Ros’ Kind durfte nicht leben, mithin durfte sie auch nicht leben, sie würde in die Berge gehen, um zu sterben.
    Es war dunkel, als Ceana aufbrach, Schnee fiel, aber zum ersten Mal seit Tagen herrschte kein Sturm. Beim Luftholen schnitt ihr die Kälte in die Lungen. Das war gut. Jetzt endlich war alles Schmerz. Sie hatte nicht überlegt, wohin sie gehen wollte, und stapfte doch durch den Schnee, als hätte sie ein Ziel. Durch fliehende Nebelschwaden sah sie die Gipfel des Bidean nam Bian, die in der Nacht wahrhaftig drei Geisterschwestern glichen. Zwischen der östlichen Schwester, Beinn Fhada, und der mittleren, Gearr Aonach, lag das Coire Gabhail, Tal der Gefangenschaft, wie mit der Axt geschlagen. Tal der Gefangenschaft, das ist es, wohin ich gehöre. Das Tal, die klaffende Wunde im Bergmassiv, trug seinen Namen, weil der Legende nach dort geraubtes Vieh – Colins Rinder – versteckt worden war, auch wenn kein Rind den steilen Hang hätte erklimmen können. Dennoch war es richtig, dorthin zu gehen – wie das Tier aus dem Lied, das Kalb mit den gebrochenen Läufen.
    Sie versank bis über die Knie im Schnee, musste kämpfen, derweil die Kälte ihr die Fänge ins Fleisch schlug. Ceana hatte sich die Strümpfe mit Lederbändern umwickelt und zwei Schultertücher umgelegt, aber all der Stoff war im Nu durchnässt und schadete mehr als er nützte. Hätte sie Atem genug gehabt, hätte sie über sich gelacht; es war lachhaft, sich warm anzuziehen, wenn man zum Sterben ging.
    Über den Dächern der Hütten stand kaum Rauch. Noch ehe die Frauen sich unter Decken hervorquälen und Feuer anfachen würden, wäre Ceana nicht mehr da. Im Winter musste Sterben einfach sein; es starben so viele, die nicht sterben wollten, unddie, die lange gelebt hatten, mahnten: Steig in solchem Wetter in die Berge, und du holst dir den Tod. Würde es schnell gehen? Würde sie es spüren? Würde ihr ein großes Geheimnis offenbar, ehe es zu

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