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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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das zweitschweigsamste Schaf der Herde, in einem ungewöhnlichen Anfall von Gesprächigkeit.
    Maple musterte ihre Herde. Alle Schafe sahen jetzt zu ihr herüber, und nur die wenigsten schienen freundlich gestimmt. Cloud sah schuldbewusst aus, Heide eifersüchtig, Maude besorgt, Ritchfield streng. Nur Mopple hatte nicht aufgehört zu grasen, und während er sich gedankenlos an ihnen vorbeifraß, strahlte er mehr wollige Freundlichkeit aus als der Rest der Herde zusammen.
    Miss Maple seufzte. »Ich will das Ding nicht für mich. Es ist für die Menschen. Habt ihr euch schon einmal überlegt, was passiert, wenn wir den Mörder gefunden haben? Glaubt ihr, der Blitz erschlägt ihn? Wir brauchen Beweise!«
    »Das ist kein Beweis«, blökte Maude. »Das ist ein Ding.«
    »Aber vielleicht könnte es ein Beweis werden«, sagte Maple ungeduldig. Sie hatte selbst nur eine sehr vage Vorstellung davon, welche Rolle Dinge bei der Überführung des Mörders spielen konnten.
    »Wir werden den Mörder nicht finden!«, seufzte Lane.
    »Es genügt vollkommen, zu wissen, dass George an dem Spaten gestorben ist«, sagte Sir Ritchfield beschwichtigend.
    »Genau!«, blökte Maude. Die Sache mit dem Spaten war ohnehin das Einzige an der Mordgeschichte, das sie wirklich verstanden hatte.
    »Genau!«, blökten die anderen Schafe.
    »Schluss mit den Ermittlungen!«
    »Schluss mit dem Nachdenken!«
    Miss Maple sah ihre Herde verständnislos an. »Aber es gibt so viele Fragen«, sagte sie. »Ihr habt sie selbst gesammelt – einige davon. Wo ist Tess? Wer ist der Wolfsgeist? Was hat Gott auf der Weide gesucht? Was ist mit Lilly und Kate? Warum war Ham hier? Was hat George mit Rauschgift zu tun? Was ist Rauschgift überhaupt? Wer ist der Meisterjäger? Warum war er hier? Ein Meisterjäger war auf unserer Weide, und ihr wollt nicht einmal wissen, wieso?«
    »Genau!«, blökte Maude. »Hauptsache er kommt nicht wieder.« Einige Schafe blökten zustimmend. »Und wenn, werde ich ihn wieder wittern!«, fügte Maude nicht ohne Stolz hinzu.
    Mopple graste wieder an ihnen vorbei, strahlend vor Zufriedenheit, ein lebender Beweis dafür, dass irdische Glückseligkeit existierte und mit einfachen Mitteln zu erreichen war. Die anderen Schafe sahen ihm ein wenig neidisch nach.
    »Siehst du«, sagte Sir Ritchfield, »so sollten Schafe den Tag verbringen. Mit Grasen! Nicht mit Fragen! Wir können die Antworten doch nicht finden. Das war der Grund, warum George den Krimi weggeworfen hat. Er hat verstanden, dass man nicht alles herausfinden kann. Du solltest es auch verstehen, Maple!«
    Miss Maple scharrte ungeduldig mit dem Huf Gras und Erde auf. »Aber es ist doch passiert«, sagte sie störrisch. »Es gibt ein Ende. Wenn George den Krimi fertig gelesen hätte, hätten wir es gewusst. Und ich will es wissen. Und ihr wollt es auch wissen. Ich weiß, dass ihr neugierig seid. Ihr wollt nur eure Schafsköpfe nicht anstrengen!«
    »Es ist zu viel für uns«, sagte Cordelia betreten. »So viele Menschensachen, die wir nicht verstehen können. Und es gibt niemanden mehr, der uns die Worte erklärt.«
    Die anderen sagten nichts. Manche beobachteten das Gras vor ihren Hufen, als wollten sie ihm beim Wachsen zusehen. Andere hielten nach nächtlichen Wolkenschafen Ausschau.
    »Wir sollten es einfach vergessen«, sagte Cloud leise. »Es wird einfacher sein, wenn wir alles vergessen haben.« Wieder gab es zustimmendes Blöken. Vergessen war ein altbewährtes Rezept gegen Schafskummer. Je seltsamer und verstörender ein Erlebnis war, desto schneller sollte man es wieder vergessen. Warum waren sie bisher nicht auf diese Idee gekommen?
    Maple sah sie ungläubig an.
    »Aber wenn wir alles vergessen, gibt es keine Geschichten mehr«, sagte sie. »Es ist wie eine Geschichte, versteht ihr?«
    Niemand antwortete.
    »Ihr wollt nicht!«, sagte sie fassungslos.
    Die anderen sahen sie beleidigt an.
    »Wir wollen sehr wohl«, erklärte Cloud würdevoll. »Nur nicht dasselbe wie du.«
    »Doch«, sagte Maple. »Ihr wisst es nur nicht! Es ist ganz einfach. Da draußen ist ein Wolf. Wir wissen nur nicht, wer es ist. Wie sollen wir uns vor ihm hüten, wenn wir ihn nicht erkennen können? Wir haben nicht einmal einen Schäfer, der auf uns aufpassen kann. Jemand hat unseren Schäfer gerissen, und ihr glaubt noch immer, dass die Welt in Ordnung ist!«
    Noch nie hatten sie Miss Maple so wütend gesehen. Wenn sie recht darüber nachdachten, hatten sie Miss Maple überhaupt noch nie wütend

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