Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
Vom Netzwerk:
gesehen.
    »Ihr würdet es noch nicht einmal merken, wenn der Wolf sich in die Herde schleichen würde. Erinnert ihr euch an die Geschichte vom Wolf im Schafspelz?«
    Es war die gruseligste Geschichte, die sie je von George gehört hatten. Sie jetzt mitten in der Nacht zu erwähnen, war unfair.
    »Entweder ihr findet den Wolf, oder er findet euch. So einfach ist das! Alle Geschichten haben ein Ende! Es nützt nichts, das Buch in der Mitte wegzuwerfen, nur weil man etwas nicht versteht!« Maple schnaubte. »Wenn ihr es nicht herausfinden wollt, werde ich es eben alleine herausfinden!«
    Cloud, die Meinungsverschiedenheiten schlecht vertragen konnte, sah sie mit feuchten Augen an. »Wir brauchen einen Schäfer«, flüsterte sie.
    Aber Maple beachtete sie nicht. Sie schlackerte verächtlich mit dem Schwanz. Dann trabte sie los, unter den Krähenbaum, möglichst weit weg von den anderen Schafen. Dort starrte sie tiefsinnig ins Dunkel.
    »Gerechtigkeit!«, blökte sie.
    Nur Othello antwortete ihr.
    »Gerechtigkeit!«, blökte er zurück.
    Die anderen Schafe sahen sich betreten an. Dann begannen sie wieder zu grasen. Nur so. Aus Trotz. Sie wollten Miss Maple beweisen, wie wunderbar das einfache, unreflektierte Schafsleben sein konnte. Nur Othello blökte noch immer gedankenverloren vor sich hin. »Gerechtigkeit!«, blökte er leise. »Gerechtigkeit!«
    »Was ist Gerechtigkeit?«
    Plötzlich stand das Winterlamm vor Othello, mit seinem kleinen struppigen Körper, dem etwas zu groß geratenen Kopf und Augen, die funkelten.
    »Was ist Gerechtigkeit?«
    Othello überlegte. Eigentlich war es klüger, sich nicht mit dem Winterlamm einzulassen. Wenn es den Mund aufmachte, dann meist nur, um Unheil zu stiften.
    »Was ist Gerechtigkeit?«
    Und trotzdem. Manchmal mochte Othello das Winterlamm. Es war genau die Art Schaf, die den grausamen Clown beim Zirkus aus dem Konzept gebracht hätte. Othello beschloss, das Risiko einzugehen.
    »Gerechtigkeit …«, sagte Othello. Die Augen des Lamms wurden groß. Noch nie hatte der Schwarze mit ihm gesprochen.
    »Gerechtigkeit«, wiederholte der Widder. Was war Gerechtigkeit? Im Zoo waren von Zeit zu Zeit einige Schafe aus dem Gehege geholt worden. Für die Raubtiere, obwohl davon niemand sprach. Nicht die schwächsten, nicht die dümmsten. Irgendwelche. Das war nicht gerecht gewesen. Und dann hatte Lucifer Smithley Othello für seine Messerwerfernummer gekauft. Weil er genau der war, der er war, schwarz und gefährlich aussehend mit seinen vier Hörnern. Weil man das Blut im schwarzen Fell nicht sehen konnte, wenn Lucifer einmal nicht so teuflisch sicher traf, wie das Plakat ankündigte. Das war auch nicht gerecht gewesen. Dann hatte Smithley der Schlag getroffen. Das war gerecht gewesen, aber nun kam Othello zu dem grausamen Clown und seinen Tieren und musste in der Manege dumme Kunststücke aufführen. Nicht gerecht! Dann war Othello wütend geworden, und der miese Hund des Clowns hatte das nicht überlebt. Das war gerecht gewesen, aber der Clown hatte Othello an den Schlachter verkauft. Ungerecht! Und der Schlachter brachte ihn zu den Hundekämpfen. Ungerecht! Ungerecht! Ungerecht!
    Othello schnaubte, und das Winterlamm sah ihn misstrauisch von unten an. Denke an die Schleimspur der Schnecke im Gras, denke an die Zeit, die auf dich wartet, mahnte die Stimme.
    Der Widder nahm sich zusammen.
    »Gerechtigkeit ist, wenn man traben kann, wo man will, und grasen, wo man will. Wenn man seinen Weg gehen kann. Wenn man um seinen Weg kämpfen darf. Wenn niemand einem den Weg stiehlt. Das ist Gerechtigkeit!« Auf einmal war sich Othello seiner Sache sehr sicher.
    Das Winterlamm legte seinen zu groß geratenen Kopf schief. Um seine Nüstern spielte etwas, das Spott oder Ehrfurcht sein konnte.
    »Und George haben sie den Weg gestohlen?«, fragte es.
    Othello nickte. »Den Weg nach Europa.«
    »Aber vielleicht wollte George jemand anderem den Weg wegnehmen, und sie haben gekämpft. Das wäre gerecht!«
    Othello war überrascht, wie gut ihn das Winterlamm verstanden hatte. Er überlegte.
    »George hätte nie jemandem den Weg gestohlen«, sagte er dann.
    »Aber vielleicht doch«, sagte das Winterlamm. »Vielleicht konnte er nicht anders. Manchmal muss man stehlen, weil niemand freiwillig etwas hergibt. Wer ist schuld, dass niemand freiwillig etwas hergibt?«
    »Gott!«, sagte Othello, ohne auch nur einen Moment nachzudenken.
    »Der Langnasige?«, fragte das Winterlamm. »Wieso?«
    Doch Othello war

Weitere Kostenlose Bücher