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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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gesenkt, rot vor den Augen, und wenn du nicht aufpasst, galoppiert sie dir davon.«
    Othello drehte sich nicht einmal um. »Na und«, schnaubte er. »Na und? Warum nicht? Er verdient es.«
    Draußen am Fenster flatterte eine Krähe.
    »Du verdienst es nicht«, spottete die Stimme. »Was glaubst du, gegen wen deine Wut anrennt? Doch nicht gegen ihn, den Ängsteweider, den Furchttreiber. Gegen dich läuft deine Wut – so eine schimmernde Wut –, und du wirst ihr nicht standhalten, wenn sie erst einmal losrennt.«
    Othello schnaubte nur.
    Hielt seine Hörner gesenkt, die Augen auf den Clown gerichtet.
    Aber er rannte nicht los.
    »Na und«, schnaubte er nochmals.
    Die Stimme schwieg.
    Othello drehte sich um. Hinter ihm stand ein grauer Widder mit gewaltigen Hörnern. Ein Widder in den besten Jahren. Ein Leitwidder, Muskeln, Sehnen und Anmut unter zottigem Fell. Seine bernsteinfarbenen Augen funkelten in der Dunkelheit des Stalls mit einem koboldischen Licht. Othello sah verlegen zur Seite.
    Der Clown tauchte wieder aus der Requisitenkiste auf, knallte die Stalltür zu und verschwand. Othello drehte sich vor Enttäuschung die Welt unter den Füßen. Plötzlich war der fremde Widder neben ihm und stupste ihn mit der Nase. Er roch seltsam, nach vielen Dingen, die Othello nicht verstehen konnte.
    »Ach was«, raunte der Graue ihm ins Ohr, »der Kopf wie ein Tropfen am Zweig, wieso? Wäre deine Wut losgaloppiert, hätte er dich gekannt, über die Hörner in die Augen ins Herz. So weiß er nichts. Dein Vorteil. Alles, was er nicht weiß, ist dein Vorteil. Schwachpunkte finden. Das alte Spiel.« Auf einmal sah der Widder amüsiert aus.
    Othello zuckte mit den Ohren, um die vielen Worte zu vertreiben, die ihn plötzlich im Dunkeln umschwirrten. Aber der Graue ließ ihm keine Zeit zum Luftholen.
    »Vergiss die Wut«, sagte der Widder jetzt. »Denke an die Schleimspur der Schnecke im Gras, denke an die Zeit, die auf dich wartet.«
    »Ich bin aber wütend!«, sagte Othello, um nur irgendetwas zu sagen.
    »Kämpfe!«, sagte der Widder.
    »Wie kann ich kämpfen, wenn er mich immer einsperrt?«, schnaubte Othello. Jetzt, wo die Sache begann, ihn zu interessieren, war der Graue auf einmal einsilbig wie ein schlecht gelauntes Mutterschaf. »Es hilft ja doch nichts!«
    » Denken hilft! « , sagte der Widder.
    »Ich denke«, sagte Othello. »Ich denke Tag und Nacht.« Es war nicht ganz wahr, denn nachts schlief er meistens erschöpft in einer Ecke des Stalls. Aber er wollte dem fremden Widder imponieren.
    »Dann denkst du an das Falsche!«, sagte der Widder wenig beeindruckt. Othello schwieg.
    »An was denkst du?«, fragte der Graue.
    »Heu«, gab Othello kleinlaut zu.
    Wie erwartet schüttelte der Widder missbilligend den Kopf.
    »Denke an den Schimmer im Maulwurfsfell, denke an den Ton, den der Wind im Gebüsch macht und das Gefühl im Bauch, wenn du einen Hang hinuntertrabst. Denke daran, wie der Weg riecht, der vor dir liegt, denke an die Freiheit, die der Wind dir entgegenweht. Aber denke nie wieder an Heu.«
    Othello sah den Grauen an. Sein Magen fühlte sich merkwürdig an, aber nicht vom Hunger.
    »Wenn du es einfach haben willst«, sagte der Graue, »denke an mich!«
     
    *
    Othello dachte an den Grauen, und die Wut trollte sich zurück in seine vier Hörner, wo sie hingehörte. Er schüttelte den Kopf, um die alten Gedanken zu verscheuchen. Die Schafe seiner Herde sahen ihn noch immer erstaunt an.
    »Er hat uns gezählt«, wiederholte er mürrisch. »Nur gezählt.«
    Jetzt, wo Othello es sagte, kam es ihnen auch so vor. Sie waren enttäuscht. Aber ihre Laune wurde schnell wieder besser. Wenn bei Gabriel sogar das Gezählt-Werden so freundlich und geheimnisvoll war, konnte man sich denken, wie spannend die wirklich wichtigen Dinge wie das Futterraufe-Füllen, das Stroh-Ausstreuen oder das Rüben-Füttern ausfallen würden. Oder das Vorlesen. Die Schafe waren sehr gespannt darauf, was Gabriel ihnen vorlesen würde.
    »Gedichte«, seufzte Cordelia. Sie wussten nicht genau, was Gedichte waren, aber sie mussten etwas sehr Schönes sein, denn Pamela in den Romanen bekam manchmal im Mondenschein Gedichte vorgelesen, von Männern; und George, der nie ein gutes Wort über Pamela verlor, hörte dann auf zu schimpfen und seufzte.
    »Oder etwas über Klee«, sagte Mopple hoffnungsvoll.
    »Über das Meer, den Himmel und die Furchtlosigkeit«, sagte Zora.
    »Jedenfalls nichts über Schafskrankheiten«, sagte Heide. »Was meinst du,

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