Glennkill: Ein Schafskrimmi
war ungerecht.
Von der Straße kamen beunruhigende Geräusche, Autobrummen, Männerlachen, Hundegebell. Der Hof fing diese Geräusche ein und warf sie zwischen der Hauswand, der Mauer und der kahlen Wand der Garage hin und her.
Nach dem Essen stand Beth auf. Sie hatte eine Karotte, drei Radieschen, eine Stange Sellerie und die Hälfte des dicken roten Apfels übrig gelassen. Mopple schöpfte wieder Hoffnung. Doch Beth trug den Teller aus dem Raum und kehrte bald darauf mit leeren Händen zurück. Dann setzte sie sich in einen Lehnstuhl und machte sich an einer Kette aus Holzperlen zu schaffen. Beth ließ sich die Perlen durch die Finger gleiten und murmelte vor sich hin. Vaterunserderdubist …
Als dann endlich entschlossene Schritte am Take-Away vorbei in den Hof kamen, schien es Beth nicht einmal zu bemerken, so beschäftigt war sie. Aber die Schafe wussten sofort, wer hier zielstrebig um die Ecke bog und einen klaren Neonschatten auf den Boden zeichnete. Sie roch noch immer gut, nach Erde, Sonne und Gesundheit, auch wenn jetzt Zigarettenrauch diese schönen Gerüche etwas verschleierte.
Mopple begann, unruhig nach ihrem Fluchtweg in den Hinterhof zu schielen. Aber alle Schafe hielten ihre Stellung. Sie hatten es vorher ausprobiert. Wenn die rote Frau wirklich nur bis zur Tür ging, waren sie hier, verdeckt von einem Ginsterstrauch, ganz gut vor ihren Blicken geschützt.
Die Frau klopfte, und Beth schrak in ihrem Lehnstuhl zusammen. Sie legte hastig das Ding weg, malte sich mit dem rechten Daumen ein Zeichen vor die Brust und eilte zur Tür. Dann verschwanden Beth drinnen und die Frau draußen aus dem Blickfeld der Schafe, und sie hörten nicht mehr als undeutliches Gemurmel. Es war spannend. Sie hatten noch nie in ein Menschenhaus von innen gesehen. Offenbar war es nicht dasselbe, hineinzugehen und innen herauszukommen.
Endlich ging die Tür im Zimmer auf. Die rote Frau kam herein, gar nicht rot, in blauer Hose und einem grünen Hemd, gefolgt von Beth.
»Rebecca«, sagte die Frau. »Sie können ruhig ›Rebecca‹ zu mir sagen.«
Doch Beth sagte gar nichts, und beide sahen sich eine Weile stumm an.
»Sie sind nicht wegen des Tourismus hier«, sagte Beth schließlich. »Sie sind wegen George hier.« Es war eine Feststellung.
Rebecca nickte. »Ich möchte möglichst viel über sein Leben erfahren. Und über seinen Tod. Wenn ich nebenbei noch dem Tourismus auf die Sprünge helfe, soll es mir recht sein.« Ein spöttisches Lächeln, aber Beth war zu konzentriert, um es zu bemerken.
»Warum? Sind Sie von der Polizei? Gott weiß, es wird Zeit, dass die endlich etwas unternehmen.«
Rebecca errötete. »Nein«, sagte sie, »ich bin hier aus … aus sehr persönlichen Gründen.«
Beths Augen wurden schmal. »Und doch wissen Sie kaum etwas von ihm«, sagte sie. »Viele Möglichkeiten lässt das ja nicht offen …«
Rebecca hatte ihre Augen gesenkt und schwieg.
»Und damit kommen Sie zu mir!« Beths Stimme war aufgeregt, ein bisschen so wie früher, wenn sie George die Heftchen in die Hände drückte. »Ausgerechnet zu mir! Ich dachte, Sie wären anständig. Ich sollte Sie wegschicken, mit der Frohen Botschaft, aber wegschicken. Was haben Sie hier zu suchen?«
Rebecca hatte wieder aufgeblickt. Sie lächelte noch immer, aber es sah jetzt viel trauriger aus. »Sie würden es wohl Vergebung nennen«, sagte sie leise.
Was keine von Georges giftigen Bemerkungen je fertig gebracht hatte – Rebeccas Antwort schaffte es mühelos: Beth stand da wie vom Donner gerührt. Eine Weile sagte niemand etwas. Rebeccas schmale Hände malten gewundene Linien auf die Kommode.
Mopple wurde es langweilig. Er reckte den Hals, probierte eine der Geranien im Blumenkasten und kaute geräuschvoll. Othello warf ihm einen gereizten Blick zu. Mopple blickte aus unschuldigen Augen zurück.
Hinter der Glasscheibe war Beth weiß wie Milch geworden.
»Mein Gott«, flüsterte sie. »Mein Gott.« Dann schien ihr ein neuer Gedanke zu kommen. Sie beruhigte sich etwas.
»Tee?«
Rebecca nickte.
Draußen rumpelte es. Mopple hatte sich auf der Suche nach einer Geranienknospe zu weit vorgebeugt, das Gleichgewicht verloren und saß nun verdutzt auf seinem Hinterteil.
Othello schnaubte. »Mopple, wenn du noch ein einziges Blatt frisst, jage ich dich morgen über die Weide, bis du dünn bist wie eine alte Ziege.« Mopple hörte auf zu kauen und kletterte wieder auf die Füße. Maple warf den beiden Widdern einen vorwurfsvollen Blick zu. Die drei
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