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Glennkill: Ein Schafskrimmi

Glennkill: Ein Schafskrimmi

Titel: Glennkill: Ein Schafskrimmi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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immer schmal.
    »Und wenn ich Fragen über George habe?«, flüsterte sie zu Beth hinauf. Eine tiefe Stimme. Rau und schön. Eine Vorlesestimme.
    Beth erstarrte. Wieder suchten ihre Augen den makellos blauen Himmel ab. Als sie endlich zu der Frau hinuntersah, lag der Hauch eines Lächelns auf ihren Lippen.
    »Dann«, flüsterte sie, »kommen Sie heute Abend zu mir. Das blaue Haus gegenüber der Kirche. Vorne ist ein Take-Away. Hinten wohne ich.«
    Beth drehte sich um und war bald nur noch eine scharf geschnittene schwarze Silhouette, die vor dem Hintergrund des Nachmittagshimmels immer kleiner wurde. Die rote Frau sah ihr regungslos nach. In der Salatschüssel lag vergessen die letzte Tomate.
     
    *
    Othello hatte die letzte Tomate bekommen. Er stand versonnen da und beobachtete, wie die fremde Frau alle anderen Futtersachen wieder in ihrem Korb verschwinden ließ und nachdenklich an den Klippen entlang Richtung Dorf wanderte. Um ihn herum sah man neidische Schafsmienen. Woher wusste Othello immer, was zu tun war? Wer hatte ihm beigebracht, so gut mit Menschen umzugehen? Sich einfach vor die Frau hinzustellen, nicht drängend und nicht scheu, genau als sie die Salatschüssel wegpacken wollte? Die Frau hatte gelacht, mit ihrer guten, rauen Georgestimme, und Othello die Schüssel hingehalten. Und Othello hatte ohne Eile die letzte Babytomate verspeist.
    Jetzt war die Laune schlecht. Keiner hätte gewagt, was Othello gewagt hatte, noch dazu bei einer völlig fremden Frau, aber keiner gönnte ihm die Tomate. Nur Miss Maple machte ein nachdenkliches Gesicht. Sie graste tiefsinnig, graste geradewegs an einem stattlichen Kleebüschel vorbei. Daran konnte man sehen, wie nachdenklich sie war.
    »Sie ist nicht dumm«, murmelte Miss Maple, mehr zu sich selbst als zu irgendeinem anderen Schaf, »Beth ist nicht dumm. Sie denkt zu viel an Seelen und zu wenig an Menschen, aber dumm ist sie nicht.«
    »Die rote Frau ist auch nicht dumm«, sagte Othello, fast ein bisschen zu stolz.
    »Oh nein.« Miss Maple nickte. »Die rote Frau ist kein bisschen dumm.«
    »Ich hätte nicht gedacht, dass George ein Kind hat«, sagte Maude. »Ihr habt es doch gerochen?« Jetzt hatten sich einige Schafe um das interessante Gespräch zwischen Maple, Othello und Maude versammelt. Sie nickten. Der Familiengeruch. Schweiß und Haut und Haar. Unverkennbar Georges Tochter.
    »Man kann nicht sagen, was es bedeutet«, sagte Cordelia. Das stimmte. Den Schafen ist es nicht wichtig, wer der Vater ist, der Bespringer. Doch wer konnte sagen, wie das bei den Menschen war? In den Pamela-Romanen hatte es einen Vater gegeben, der seine Tochter eingesperrt hatte, damit sie nicht mit einem Baron davonlaufen konnte.
    »Die Apfel-Pamela ist jedenfalls nicht die Mutter«, sagte Cloud. Wieder sahen sie sich ratlos an. Was konnte das bedeuten? War es wichtig?
    »Sie hat etwas Wichtiges gesagt«, fuhr Miss Maple fort. »Sie ist wie George, sie sagt wichtige Sachen so, dass ein Schaf sie versteht. Sie hat gesagt, dass Menschen Herdentiere sind. Es kommt mir ganz passend vor.«
    Jetzt hatte Miss Maple das Grasen vollkommen vergessen und trabte konzentriert auf und ab.
    »Sie wohnen alle an einer Stelle, im Dorf. Sie kommen zusammen, um den Spaten anzusehen. Sie sind Herdentiere. Aber warum …«
    Miss Maple blieb stehen.
    »Warum kommt uns das so neu vor? Warum wussten wir nicht, dass Menschen Herdentiere sind? Die Antwort ist einfach.«
    Miss Maple blickte die Schafe um sie herum scharf an. An ihren Mienen konnte sie erkennen, dass die Antwort nicht einfach genug war. Aber gerade als sie weitersprechen wollte, blökte Sir Ritchfield aufgebracht.
    »Er hat die Herde verlassen! George hat die Herde verlassen!«
    Einige Schafe blökten nervös, aber Miss Maple nickte nur.
    »Ja«, sagte sie, »George muss die Herde verlassen haben. Er war nie mit der Menschenherde zusammen. Oder er wurde aus der Herde verjagt. Er war immer wütend auf die Menschen im Dorf, das wissen wir alle. War er wütend, weil sie ihn verjagt haben? War er schon vorher wütend auf sie und hat deshalb die Herde verlassen? Es könnte sein, dass er als Einziger ungeschützt war, weil er die Herde verlassen hat. Es könnte sogar sein, dass sein Tod eine Strafe dafür ist, dass er die Herde verlassen hat.«
    Die Schafe schwiegen entsetzt. Es kam ihnen schrecklich vor, dass ihr Schäfer die Herde verlassen hatte.
    »Aber die Hunde des Teufels«, flüsterte Cordelia, »das hat er nicht verdient.«
    Lane schauderte.

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